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Black Sheep [Character story; Roman]

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LiskaFly

25, Weiblich

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Black Sheep [Character story; Roman]

von LiskaFly am 14.06.2020 20:32

Hey, ich schreibe seit langer Zeit ein Gruppen RPG und eine meiner beiden Figuren hat es mir echt angetan xDAlso eigentlich beide, aber zu der einen wollte ich unbedingt mal ihren Werdegang niederschreiben. Wenn ich mir schon die Mühe mache das alles aufzuschreiben, dann will ich es natürlich auch mit jemandemteilen :) Deswegen dieses Topic hier.
Sie ist eine komplexe Person, die in ihrem Leben eine Menge durchmachen musste und das hier ist ihre Geschichte...

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LiskaFly

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Re: Black Sheep [Character story; Roman]

von LiskaFly am 14.06.2020 20:34

Kapitel 1

 

Schmerzen zogen sich meinen Hals entlang, während grelles Licht durch meine geschlossenen Lider drang. Mein gesamter Körper fühlte sich schwer an und ich konnte beim besten Willen nicht sagen, ob ich gerade schlief oder wach war. Von irgendwo konnte ich Stimmen hören. Sie drangen gedämpft an mein Ohr, jedoch zu unklar um zu verstehen, was sie sagten. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich mich schließlich dazu durchringen meine Augen zu öffnen, bereute es jedoch sofort, da das Licht mich blendete. Krampfhaft blinzelte ich das unangenehme Gefühl in meinen Augen weg, ehe ich mir meiner Umgebung bewusst wurde. Irgendwie kam mir dieser Raum hier bekannt vor und doch hatte ich ihn nie zuvor gesehen. Wo war ich hier? Was war geschehen? Mit einem Mal stand jemand neben mir, neben dem Bett in dem ich lag, und blickte auf mich hinab. Er sprach zu mir und erneut versuchte ich mich auf die Worte zu konzentrieren, doch es nützte nichts. Kaum hatte ich sie gehört, so waren sie auch wieder verschwunden, noch ehe ich sie verstehen konnte. Und dann erschien plötzlich ein weiteres Gesicht in meinem Blickfeld. Eines, welches ich nun wirklich nicht sehen wollte. In diesem Moment dämmerte mir, wo ich hier war. „Mein Gott, Ina!" Sie klang schockiert. Ja ihre Stimme spiegelte perfekt das wieder, was ihre Augen mir sagten. Angst, Ekel, Unbehagen, mit diesem Blick konnte sie mich nur schwer ansehen. Die Augen leicht gesenkt und immer wieder zu dem Arzt wandernd. „Was ist passiert? Wer hat dir das angetan, Liebling?" Ihre geheuchelte Sorge konnte sie sich meinetwegen sonst wo hin stecken. Von all den Leuten, die hier sein könnten musste es ausgerechnet sie sein. Das hier war ein einziger Alptraum. Um ihr zu zeigen, wie wenig Lust ich hatte mit ihr zu reden, drehte ich mich von ihr fort. Großer Fehler! Ein erneuter Schmerz schoss blitzartig durch meinen Hals und ich musste mir einen Schrei verkneifen. Doch mein Gesichtsausdruck sprach anscheinend Bände und sofort eilte meine Mutter wieder an meine Seite. Na der Plan mit dem Wegdrehen hatte ja prima funktioniert. Sie strich mir durchs Haar und wenn ich sie nicht so gut kennen würde, dann wäre diese Situation fast schon herzzerreißend süß. „Lasst mich allein." Meine Stimme war kaum mehr als ein kratziges Flüstern und jede Bewegung meines Kiefers sandte erneute Schmerzen aus. „Ich will allein sein." Tränen stiegen mir in die Augen und trübten meine Sicht, sodass es mir schwer fiel den Blick zu deuten, den Meine Mutter dem Arzt zuwarf. Doch nachdem ich mich weigerte sie anzuschauen und die beiden anschwieg, ließen sie mich endlich allein in diesem kalten, weißen Raum zurück.

Die folgenden Tage zogen sich hin. Ab und zu kam meine Mutter zu Besuch jedoch schüttelte ich sie jedes Mal auf die selbe Art ab. Schweigen und Blickkontakt meiden, das wirkte ab und an wahre Wunder. Wenn es jedoch nicht meine Mutter war, dann standen dort zwei Polizisten an meinem Bett, die mir allerhand Fragen stellten. Sie wollten wissen, was geschehen war, wer mir das angetan hatte und ich kam nicht um den Gedanken herum, ob meine Mutter die beiden geschickt hatte. Doch egal was sie versuchten um mich zum Reden zu bringen, ich konnte nicht. Denn ich wusste ja selbst nicht was genau geschehen war. Finn, das war das einzige woran ich mich erinnerte. Sein Gesicht war die Verkörperung von Wut und es grenzte an ein Wunder, dass ich lebend von ihm weggekommen war. Gerade hatte ich wieder Besuch von der Polizei, doch mein Mund blieb zu. In meinem Hals hatte sich ein Kloß geformt, welcher immer größer zu werden schien. „Ina, du möchtest den Kerl, der dir das angetan hat, doch sicher auch hinter Gittern sehen. Was ist, wenn er erfährt, dass du noch lebst? Er könnte sich auf den Weg hierher machen um dich zum Schweigen zu bringen, damit du ihn nicht mehr verraten kannst." Jetzt fingen sie mit Drohungen an, nicht sehr vielversprechend. Dennoch steckte irgendwo ein Fünkchen Wahrheit in ihrer Aussage. Finn war gefährlich. Was würde geschehen, wenn er herausfand, dass ich hier war? Andererseits hatte er mir nie etwas vor den Augen anderer angetan. Außerdem wusste er genau, dass ich ihn niemals verraten würde. Dazu fehlte mir einfach der Mumm, und ich fürchtete ihn zu sehr. In meiner Magengrube breitete sich ein undefinierbares Gefühl aus, und egal wie sehr ich versuchte mir die Situation gut zu reden, es wollte nicht verschwinden.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach die Polizisten und zur Abwechslung kam mal ein Gesicht zum Vorschein, welches ich seit Beginn meines Krankenhausaufenthalts noch nicht gesehen hatte. Es war ein Gesicht, welches ich mich tatsächlich zu sehen freute. „Hey, ich hoffe ich störe nicht. Oder soll ich lieber später wiederkommen?" Unsicher sah er die Polizisten an, welche den Kopf jedoch schüttelten. „Ist in Ordnung. Wir sind hier eh für heute fertig. Vielleicht kannst du ihr ja ein wenig Verstand einreden, Junge." Während er das sagte legte er seine Hand bestätigend auf die Schulter des verwirrten Jungen, ehe er dann mit seinem Kollegen das Krankenzimmer verließ. „Hey Ina." Sagte er schließlich vorsichtig an mich gewandt, wagte sich jedoch nicht wirklich näher zu kommen. Vermutlich war er unsicher, wie ich auf seinen Besuch reagieren würde. Als wir uns das letzte mal gesehen hatten, endete unsere Konversation in einem Streit, so wie so ziemlich jedes unserer letzten Treffen. „Ich habe dir etwas mitgebracht. Ist zwar nur eine Kleinigkeit, aber vielleicht muntert es dich ja ein wenig auf." Er öffnete seinen Rucksack und zog zwei Tafeln meiner Lieblingsschokolade heraus. Endlich löste sich der Knoten in meinem Hals und das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit brachte ich wieder ein paar Worte hervor. „Danke Liam." Meine Stimme klang schwach, aber das Danke wog schwer und war absolut ernst gemeint. Liam war der erste Besucher, über den ich mich freute. Er lächelte mich aufmunternd an und trat nun näher an mein Bett, um mir die Schokolade zu geben, doch dann fiel sein Blick auf meinen Hals und jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Er war sprachlos, offensichtlich schockiert und konnte nicht anders, als hinzustarren. „Schönes Souvenir, nicht wahr?" So sehr ich versuchte dieser Aussage einen Klang zu geben, welcher die Stimmung lockern sollte, so kam meine Aussage doch eher erbärmlich rüber. Und die einzige Reaktion seinerseits war ein entgeisterter Blick."Ina..." Mehr brachte er nicht raus, denn ihm fehlten die Worte. Doch wer konnte es ihm verübeln? Ich hatte zwar noch nicht den Mut aufgebracht in den Spiegel zu schauen, doch abgetastet hatte ich meine Wunde bereits. Es war ein langer Schnitt von meinem linken Ohr, bis runter zum Schlüsselbein. „Hat er dir das angetan?" Die Frage überraschte mich ein wenig, jedoch wunderte es mich nicht, dass er darauf gekommen war. Liam war der Einzige, der von Finn wusste. Er hatte mich von Anfang an gewarnt, dass ich mich nicht auf ihn einlassen solle, doch ich wollte es nicht wahr haben. Finn war harmlos, zumindest zu Beginn unserer Beziehung. Und nun musste ich mit den Konsequenzen klarkommen „Spielt das eine Rolle?" Das leichte Lächeln, welches ich zuvor ihm zu liebe aufgesetzt hatte verschwand nun aus meinem Gesicht. Nein, über Finn wollte ich nun wirklich nicht reden. „Und ob das eine Rolle spielt. Waren die Bullen deshalb hier? Hast du ihnen gesagt, was er dir alles angetan hat? Der Typ ist ein Psycho und gehört weggesperrt." In mir kochte eine unerwartete Wut auf und ich setzte mich ruckartig auf. „Sei still! Hör zu Liam, die Sache geht dich gar nichts an. Halt dich da einfach raus. Du weißt absolut gar nichts. Und wehe du redest mit irgendwem darüber, schon gar nicht mit diesen Polizisten." Meine Stimme hatte jegliche Schwäche verloren und egal wie sehr die ruckartige Bewegung und das aufgebrachte Reden schmerzten, so konnte ich mich in diesem Moment einfach nicht halten. Doch Liam schreckte nicht zurück. Er stand lediglich reglos da und betrachtete mich mit einem besorgten Blick. „Du weißt ganz genau, dass mich das etwas angeht. Ina du bedeutest mir etwas. Ich mache mir Sorgen um dich, ob du das willst oder nicht." Seine Stimme war ruhig und klar. Wie konnte er nur so verdammt ruhig sein, während ich mich fühlte, als würde ich jeden Moment explodieren. „Vielleicht ist das ja der große Fehler hier. Vielleicht solltest du einfach verschwinden und mich allein lassen, wie alle anderen auch. Ich bedeute dir etwas? Tja, das ist dein Pech, du mir nämlich nicht. Ich brauche deine Fürsorge und dein Mitleid nicht. Ich will einfach nur allein sein also HAU AB Liam!" Meine Stimme überschlug sich und es kostete mich alle Kraft, nicht in Tränen auszubrechen. Endlich regte sich etwas in ihm und seine ruhige Miene begann zu bröckeln. Oh wie sehr ich es liebte Masken bröckeln zu sehen, sodass die Wahrheit darunter zum Vorschein kam. Die Wahrheit war, dass alle Menschen egoistische Arschlöcher waren die vorgaben Engel zu sein, so lange bis sie bekamen was sie wollten, oder merkten, dass sie es niemals bekommen würden. Finn war so gewesen, meine Mutter gehörte definitiv zu dieser Sorte, Warum sollte Liam also in irgendeiner Art und Weise anders sein. Seine Augen verdunkelten sich und wenn ich mich nicht irrte, dann konnte ich Tränen in ihnen erkennen. „Wenn es wirklich das ist, was du willst, dann bitte. Sieh zu wie du alleine klarkommst." Ohne mich noch einmal anzusehen stürmte er hinaus und ließ die Tür mit einem Krachen zufallen. Das ganze wirkte so bitter und surreal.

Hatte ich eben meinen einzigen Freund, den einzigen Menschen, der stets zu mir stand, angeschrien und aus meinem Leben verbannt? Verdammt ja, das hatte ich. Und dieser leere Raum um mich herum sowie dir zunehmend größer werdende Leere in mir drinnen fühlten sich nicht annähernd so gut an wie erwartet. Mit einem Mal wünschte ich, Liam würde zurückkommen. Er kannte mich doch, wusste um meine Macken. Er wusste wie anstrengend und abweisend ich sein konnte und bisher hatte es ihn nie davon abgehalten bei mir zu bleiben. Wie oft hatte ich ihn schon angeschrien und zum Teufel gejagt und jedes Mal kam er doch zu mir zurück. Doch dieses Mal fühlte sich anders an. Dieses Mal wirkte endgültig. Ich hatte es vermasselt, dieses Mal tatsächlich. Der Ausdruck in seinen Augen, bevor er raus gestürmt war, sprach Bände. Ich hatte ihn endgültig gebrochen und verloren und nun gab es kein Zurück mehr. Er war verletzt und wütend und das alles war meine Schuld. Ich war immer an allem Schuld und daran würde sich nie etwas ändern. Ina Weiß, das schwarze Schaf in so ziemlich jeder Situation. Sei es zu Hause bei meiner Familie, in der Schule oder bei meinen Freunden. Das heißt, bei meinen ehemaligen Freunden, denn nach und nach hatte ich sie alle aus meinem Leben vergrault. Liam war der letzte, der nicht aufhören wollte, an mich zu glauben und nun war auch er fort.

Ich ließ meinen Blick durch das leere Krankenzimmer schweifen. Bisher hatte ich Glück gehabt, denn noch war ich allein. Doch das könnte sich durchaus noch ändern. Voraussichtlich sollte ich noch eine Woche zur Beobachtung hier bleiben und mein Zimmer war eigentlich für zwei Personen ausgelegt. Das leere Bett auf der anderen Seite des Zimmers konnte jederzeit an jemanden vergeben werden und ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wie ich es aushalten sollte, mir mein Zimmer mit einer wildfremden Person zu teilen. Es fiel mir ja bereits schwer Bekannte für mehr als eine Stunde zu ertragen. Für heute hatte ich jedoch Glück. Nur zwei Personen leisteten mir für kurze Zeit Gesellschaft. Eine Schwester, die mir Medikamente brachte und eine zweite Schwester, die mit mir die Essensplanung für den nächsten Tag durchging. Ob am Abend noch jemand vorbeikam wusste ich nicht, da ich wegen der Medikamente schnell schläfrig wurde und schon bald in einen traumlosen Schlaf abdriftete.

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LiskaFly

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Re: Black Sheep [Character story; Roman]

von LiskaFly am 16.06.2020 20:38

Kapitel 2

 

Die letzte Woche verging ohne besondere Ereignisse. Liam hatte sich nicht mehr gemeldet und auch die Polizei gönnte mir etwas Ruhe. Ohne meine Aussage gab es keinen Fall, egal wie schlimm meine Wunde war. Und eine Aussage würden sie nicht von mir bekommen und selbst wenn ich mich doch dazu durchringen würde, so hätte es keinen wirklichen Sinn. Finn hatte wahrscheinlich schon sämtliche Spuren beseitigt, sodass es letztendlich Aussage gegen Aussage wäre und mir würde man eh keinen Glauben schenken.
Nun saß ich in dem Krankenzimmer , meine Sachen fertig gepackt und auf meinen Entlassungsbericht wartend. Meine Mutter war bereits auf dem Weg hierher um mich abzuholen und um ehrlich zu sein freute ich mich ganz und gar nicht auf den Heimweg. Vermutlich würde sie auf mich einreden und versuchen mich zu einer Aussage zu überreden. Und anschließend würde sie wieder die ‚arme Mutter' rauslassen, die es ja ach so schwer in ihrem Leben hatte. Die ganze Welt war gegen sie und ich, als ihre nie gehorchende Tochter, machte es ihr nur noch schwerer. Alles drehte sich immer nur um sie. Wenn ich am verrecken war, dann zählte nur, wie sehr sie daran leiden musste mal nicht im Rampenlicht zu stehen. Und siehe da, schon tat sie es wieder und mein Leid war vergessen. Es war jedes Mal der selbe Scheiß mit ihr. Doch wer weiß, vielleicht würde es diesmal anders werden. Mit meiner Wunde hatte ich hier im Krankenhaus schon so einige schockierte Blicke auf mich gezogen. Das ironische daran war, dass ich selbst es noch nicht übers Herz gebracht hatte in den Spiegel zu schauen. Ich wusste demnach nicht genau was es war, das sie alle schockierte, doch ihre Reaktionen waren genau das, was mich davon abhielt, es mir anzusehen. Früher oder später würde ich es jedoch tun müssen. Spiegelnde Oberflächen ließen sich leider nicht meiden.

Aus dem Augenwinkel sah ich jemanden näher kommen. Es handelte sich bei der Person um eine junge Schwester, die ich hier noch nicht gesehen hatte. Sie hielt einen braunen Briefumschlag in der Hand und steuerte auf mich zu. „Sind sie Ina Weiß?" Ich nickte, wobei ich mir nicht einmal Mühe gab eine Maske aufzusetzen. Mein Gesicht blieb vollkommen gleichgültig. „Hier ist ihr Entlassungsbrief." Mich anzusehen war ihr offensichtlich unangenehm. Man würde meinen, Krankenschwestern würden eine Menge sehen und demnach nicht leicht zu schockieren sein, doch diese hier war anscheinend noch ganz neu im Beruf. „Viel Glück und gute Besserung." sagte sie noch, als ich mein Zeug und den Brief nahm und das Zimmer verließ.
Von allen Seiten starrte man mich an, oder zumindest kam es mir so vor. Vielleicht wurde ich ja ein wenig paranoid, aber wer konnte mir das schon verübeln, nach dem, was geschehen war. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mich irgendwo verkriechen zu können. Als ich schließlich draußen darauf wartete, dass meine Mutter mit dem Auto vorfuhr, konnte ich jemanden neben mir deutlich aufatmen hören und als ich in die Richtung des Geräuschs sah, starrten mich die weit aufgerissenen Augen eines Mannes an. „Was?" fauchte ich ihn an und meine Stimme klang so hasserfüllt, wie ich mich gerade fühlte. „Noch nie ein Monster gesehen?" Das hier ist ein verdammtes Krankenhaus, da gibt es nun mal Kranke und Verletzte. Und Überraschung, Wunden sahen nicht gerade schön aus. Im Ernst,was hatten die Leute für ein Problem? Was zur Hölle erwarteten sie hier? Doch nicht etwa ein Wunderheilmittel, welches sämtliche Verletzungen einfach so verschwinden ließ.

Bevor ich diesem Mann noch einen weiteren blöden Kommentar an den Kopf werfen konnte, dafür, dass er mich noch immer so blöd anstarrte, kam schließlich meine Mutter. Als ihr Auto vor mir zum Stehen kam, sah ich für den Bruchteil einer Sekunde meine Spiegelung in der Fensterscheibe. Jedoch schaute ich ruckartig zu Boden und öffnete die Autotür. „Bitte sag nichts und fahr einfach." Ich wusste, dass meine Mutter es nicht mochte, wenn ich so mit ihr sprach. Doch im Moment war es mir so ziemlich egal und zu meiner Überraschung tat sie was ich wollte. Die Fahrt nach Hause verlief ruhig. Zur Abwechslung war es mal ein angenehmes Schweigen in Anwesenheit meiner Mutter. Vielleicht hatte dieser ganze Vorfall ja etwas positives mit sich gebracht. Vielleicht würde meine Mutter sich ja ändern,auch wenn ich mir nicht ganz sicher war, ob ich das wirklich wollte. Irgendwie mochte ich diese innere Wut, die ich stets auf sie hatte und der Gedanke daran diese Wut loszulassen machte mir Angst. Doch kaum betrat ich unser Zuhause, wurden meine ‚Vielleichts' auch schon zerschlagen. „Ina, wir werden darüber noch reden müssen. Ich denke du schuldest uns allen eine Erklärung. Du hast ja keine Ahnung, was ich mir für Sorgen um dich gemacht habe. Warum kannst du uns nicht einfach sagen, was passiert ist?" Kaum hatte sie zu reden begonnen, da schaltete mein Kopf auch schon auf Energiesparmodus. Ichkonnte sie nicht ansehen und ihre Worte prallten an mir ab, wie ein Gummiball an einer Wand. Mein Zimmer, das war mein Ziel. Doch sie ließ nicht von mir ab, also wich ich schnell auf das Badezimmer ab, in welchem ich mich verbarrikadierte und mir anschließend die Ohren zuhielt. Es dauerte glücklicher Weise nicht lange, bis meine Mutter aufgab und weg ging.

Als es schließlich ruhig war nahm ich meine Hände runter und mein Blick schwenkte in Richtung Spiegel. Ich wollte es mir nicht ansehen, doch der Wunsch nach Gewissheit war zu groß. Schließlich überwand ich mich selbst und betrachtete mein Spiegelbild. Eine kaum verheilte Narbe zierte meinen Hals, vom linken Ohr senkrecht runter bis zum Schlüsselbein. Sie stach auf meiner blassen Haut abartig dunkelrosa hervor und überall waren Fäden, welche die Haut von beiden Seiten der Narbe zusammenhielten. Bei meinem nächsten Arzttermin sollten sie mir gezogen werden. Mein Blick wanderte wieder von der Narbe zurück in das Gesicht meines Gegenüber. Das Mädchen, welches ich dort sah, war blass, nein eher schneeweiß mit einem leicht violetten Farbstich. Ihre grau-blauen Augen waren stumpf, leblos und wurden von tiefen dunkelvioletten Augenringen geziert. Ihre blonden Haare sahen aus wie Stroh und insgesamt wirkte sie eher wie eine alte, ausgelaugte Frau und weniger wie ein 15 jähriges Mädchen. Nun wusste ich, weshalb die Leute mich alle angestarrt hatten. Irgendwie sah ich aus wie eine lebende Tote, ein verdammter Zombie, samt Spezial Effekt Wunde. Nur war meine Wunde kein Effekt, sondern Realität. War die Fremde, die ich dort im Spiegel sah wirklich ich? Meine Hand glitt hoch und berührte leicht den hässlichen Strich auf meinem Hals.Es tat weh und Tränen schossen mir in die Augen. In mir keimten Wut und Hass auf, ein unbändiges Chaos an Gefühlen, welche um die Vorherrschaft in meinem Kopf kämpften. Doch so schnell, wie sie aufkamen, so schnell verschwanden sie auch wieder und machten für etwas anderes Platz. Eine Woge der Verzweiflung erfasste mich. Meine Beine gaben unter mir nach, während mein ganzer Körper zu zittern begann. Mein Magen verkrampfte und ich schaffte es noch gerade so mich ans Klo zu ziehen, ehe meine letzte Krankenhausmahlzeit wieder zum Vorschein kam. Eine gefühlte Ewigkeit verbrachte ich in dieser Position. So klammerte ich mich krampfhaft an die Kloschüssel, während mir in Strömen Tränen über die Wangen liefen. Erst kam die Scheiße mit meinen Eltern, dann die Sache mit Finn und jetzt? Jetzt war ich für den Rest meines Lebens verunstaltet. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Womit hatte ich das verdient? Und warum traf es ausgerechnet mich? Nein, es gab keinen Grund. Solche Dinge geschahen eben. Eine höhere Bedeutung war nur etwas für jene, die sich selber täuschen wollten. Zumindest passte mein Äußeres nun zu meinem zerbrochenen Inneren. Wenn ich jetzt sagte, ich wäre ein Monster, dann würden die Leute mir glauben und nicht einfach nur lachend den Kopf schütteln. Das kleine Mädchen, welches nie ernst genommen wurde und von allen als schwach betrachtet wurde, das gab es nicht mehr. Sie war gestorben. Von nun an würde ich zurückschlagen und beißen und was auch immer mir einfiel. Jetzt hatten die Leute einen Grund mich zu meiden und angewidert anzuschauen.

Mein Magen beruhigte sich allmählich und ich ließ mich vollends zu Boden gleiten. Meine Arme umklammerten nun meinen Körper und ich gab mich ganz meinen Tränen hin. Warum konnte ich das alles nicht einfach hinter mir lassen? Warum konnte ich mein LEBEN nicht einfach hinter mir lassen und endlich sterben?Dann wären all die Schmerzen, die Angst, die Wut und der Hass endlich vorbei. Vielleicht sollte ich es einfach tun, den letzten Schritt gehen und mich in den Abgrund fallen lassen. Viel schlimmer als mein jetziges Leben konnte es nicht mehr werden. Ja, das war es was ich wollte, alles hinter mir lassen. Ich würde es tun... morgen.

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Antworten Zuletzt bearbeitet am 16.06.2020 20:38.

LiskaFly

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Re: Black Sheep [Character story; Roman]

von LiskaFly am 14.07.2020 01:01

Triggerwarnung: In diesem Kapitel kommt Gewalt vor. Wer damit Probleme hat sollte es lieber nicht lesen.

Kapitel 3

 

Der erste Tag zurück in der Schule, wie sehr hatte ich mich davor gefürchtet. Bisher wurde ich ohnehin nie wirklich für voll genommen und von einigen Schülern bei jeder Gelegenheit schlechtgeredet. Wenn sie mich jetzt so sahen, dann würden sie sich wie Hyänen auf mich stürzen. Gestern wurden mir die Fäden gezogen und die Narbe war auch nicht mehr so geschwollen, wie zuvor, doch die Farbe stach noch immer hervor. Der Arzt meinte, es sei sehr gut verheilt und mit der Zeit würde lediglich ein kaum merklicher Strich zurückbleiben, doch bis dahin würde es noch dauern. Mit diesem Gedanken zog ich mir meinen Schal etwas enger um den Hals und legte meine Haare auf die linke Seite, während ich misstrauisch mein Spiegelbild musterte. Bis die Narbe verblasste müsste ich nur so rumlaufen, falls ich überhaupt noch so lange leben würde. Jeden Abend schmiedete ich mittlerweile Pläne, wie ich mein Leben hinter mir lassen könnte und jeden Tag aufs neue verschob ich meine Pläne auf den kommenden Tag. War ich vielleicht einfach zu feige? Ich wollte nicht mehr, dieses Leben hielt nichts für mich bereit und doch war da etwas, was ich einfach nicht verdrängen konnte. Ein Teil von mir wollte glücklich sein, wollte allen beweisen, dass ich nicht in diese Standard Kategorie von depressiven Teenagern gehörte. Wenn ich mir selbst das Leben nahm, dann würde ich mich lediglich selbst in eine Box packen mit anderen, die von der Gesellschaft nicht verstanden und deshalb abgestempelt wurden. Niemand würde es jemals verstehen, weil die einzige Person, die es erklären könnte, tot wäre. Erneut betrachtete ich mein Spiegelbild. Derzeit hatten wir späten Winter, also war es kein Problem rund um die Uhr mit einem dicken Schal herum zu laufen. Doch was würde ich tun, wenn der Frühling erst einmal vor der Tür stand? Und wenn dann der Sommer folgte, würde der Schal erst recht lächerlich werden.Vielleicht sollte ich darüber nicht nachdenken, zumindest jetzt nicht. Erst einmal sollte ich mich darauf konzentrieren den heutigen Tag zu überstehen.

Leichter gesagt als getan. Mehrere Lehrer hatten mich gefragt, was meine Aufmachung sollte. Es sei doch warm in den Räumen und ich müsse keinen Schal tragen. Doch was sie sagten war mir egal. Einige andere Leute hatten mich auf meine Fehltage angesprochen,auf Gerüchte, welche durch die Schule kursierten. Das war mal wieder typisch. Erst ist man für alle unsichtbar, dann schafft man es irgendwie nicht auf positive Art und Weise gesehen zu werden, und dann ist man auf einmal das Tratschobjekt Nummer eins, nur, weil man mal gefehlt hat. Wenn diese Situation nicht so einen ernsten Hintergrund hätte, dann könnte man glatt darüber lachen. Tatsächlich würde ich in diesem Moment laut loslachen, wenn meine Angst, der Schal könne verrutschen, nicht so groß gewesen wäre. Einige Schüler hatten mich bereits für tot erklärt, als ob ich so einfach sterben würde. Tatsächlich dachten sie, ich hätte das Mobbing nicht mehr ausgehalten und einen Schlussstrich gezogen. Wiederum andere behaupteten ich sei an Krebs erkrankt oder irgendeiner anderen tödlichen Krankheit. Und dann gab es da noch die andere Fraktion, welche behauptete, es gäbe einen mysteriösen Lover, mit dem ich durchgebrannt sein sollte. Tatsächlich konnte ich mich nicht erinnern, jemals so viel Blödsinn an einem Tag gehört zu haben. Vor allem, wenn man bedachte, dass jeder, der seinen Senf zu dem Thema gab, noch nie zuvor etwas mit mir zu tun hatte. Sie kannten mich kein bisschen und spielten sich nun groß auf. Irgendwie widerte mich das ein wenig an und doch fand ich es urkomisch. Ich versuchte einfach das Gerede aus zu blenden, auch wenn es alles andere als leicht war. Ein Tag, nur einen Tag musste ich überstehen um mir selbst zu beweisen, dass das hier ein Kinderspiel war. Wenn ich erst einmal einen Tag hinter mir hatte, dann würde ich den nächsten auch schaffen. Und danach folgte dann der nächste, so lange, bis eine Woche und dann ein Monat und irgendwie auch ein weiteres Jahr geschafft war.

„Was willst du denn da verstecken?" Schräg hinter mir erklang eine Stimme, die ich überall wiedererkennen würde. „Lass mich raten, Knutschflecken? Oder eine schiefgegangene Schönheits-OP? Ich hab zwar gesagt, dass dein Gesicht die ein oder andere Veränderung braucht, aber dass du dir sowas leisten kannst? Oder hast du es irgendwo illegal für wenig Geld gemacht, etwas ist schief gegangen und nun musst du das Ergebnis verstecken?" Laureen, die Schulqueen. Sie hatte jeden in der Hand mit ihrem perfekten Auftreten. Das wunderschöne Mädchen mit goldenen Locken und großen, runden Rehaugen. Und wenn ich von goldenen Locken sprach, dann meinte ich nicht solch eine gelbe Strohmatte, wie ich sie trug. Nein, ihre Haare schienen wie aus einem Film zu stammen. Wie diese Schauspieler, deren Haare immer perfekt saßen, weil ihnen gefühlt alle 10 Minuten jemand alles richtete. Manchmal fragte ich mich, ob sie sich einfach so viel Haarspray in die Haare kloppte, dass keine Strähne es auch nur ansatzweise schaffte, zu verrutschen. Dazu trug sie außerdem immer die neuesten und teuersten Klamotten und ihr Gesicht war geziert von einem schneeweißen Lächeln. Sie ließ sich ihre Zähne weißen, ohne Frage. Es war einfach unmöglich, dass jemand von Natur aus so perfekt weiße Zähne hatte.Alles an diesem Mädchen war falsch. Sie sah aus wie der Traum eines jeden Mannes, doch diese Fassade konnte sie nur dank des Geldes ihrer stinkreichen Eltern aufrecht halten. Alles bekam sie von ihnen in den Hintern geschoben und ich war mir sicher, dass sie in ihrem Leben noch nie aus etwas anderem als Trotz geheult hatte. Und für das viele Geld, welches sie stets von ihren Eltern zugesteckt bekam fehlte ihr im Ausgleich einfach ein wenig Hirn. Ihr Hobby war, auf andere herab zu blicken und sich wie eine Königin verehren zu lassen. Ihr Lieblingsopfer? Ich! Wir kannten uns bereits von Klein auf, waren in der selben Kindergartengruppe, wurden in die selbe Klasse eingeschult und auch nach dem Schulwechsel hatte ich das Pech mit ihr gefangen zu sein. Sie hasste mich, weil ich von Anfang an der einzige Mensch war, der ihren Wünschen nie nachkam. Ich hatte ihr stets widersprochen, sogar bereits im Kindergarten. Man könnte meinen, ich wusste einfach schon damals, dass ich der einzige Mensch war, für den ich leben wollte. Auch, wenn diese Gewissheit von Jahr zu Jahr immer mehr schwankte. Und mit jedem Jahr, mit dem sie etwas eingebildeter wurde, wurde ihr Verhalten mir gegenüber schlimmer. „Nein Laureen, ich will nur nicht, dass du in der Anwesenheit meiner Schönheit verblasst." Gab ich selbstgefällig zurück. Tatsächlich fühlte ich mich in diesem Moment nicht annähernd so selbstsicher, wie ich gerade wirken musste. Mein Innerstes schrie, wollte wegrennen und sich verkriechen. Doch gerade jetzt nach dieser Aussage, war das das letzte, was ich tun sollte. „Weg mit dem Schal." Ihr Ton hatte sich verändert. Aus einer alltäglichen Neckerei wurde ein Befehl, untermalt mit ihrer typischen Pose. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich eindringlich an. Das tat sie immer, wenn sie etwas wirklich wollte und bereit war, alles dafür zu tun. „Sofort!" Ihre Stimme klang kalt und harsch. Und ich wusste, dass sie nicht locker lassen würde. „Ach lass mich einfach in Ruhe." Mir war klar, dass sie das nicht tun würde, dennoch hatte ich gerade so gar keine Lust auf das hier. Und zumindest konnte ich nun sagen, ich hätte versucht es ruhig zu regeln. Doch sie schien das komplett kalt zu lassen. Nein, statt weg zu gehen und mich in Ruhe zu lassen sprang sie vorwärts, schmiss sich auf mich und griff nach meinem Schal. Während sie daran zerrte, zog er sich enger um meinen Hals. Und unter dem einschneidenden Schmerz konnte ich mir einen Schrei nicht verkneifen. Das wars, das reichte mir. Die Warnleuchten in mir blinkten alle rot, leuchtend, tiefrot. Kontrolle? Dieses Wort wurde mir von Sekunde zu Sekunde immer fremder, bis ich schließlich nachgab. Ihre Hand klammerte noch immer an meinem Schal und zerrte daran, also tat ich es ihr gleich und ließ mich vorwärts fallen. Dabei stieß ich sie gegen eine Wand. Ihr Griff lockerte sich, doch das war nicht genug. Ich wollte, nein musste sie leiden sehen. Nur einmal sollte sie wissen wie es war, wenn Geld einem nicht alles gab. Nur einmal sollte sie ihr perfektes und scheinheiliges Leben vergessen. Nur einmal sollte diese verwöhnte Göre bekommen, was sie verdiente. Und ehe ich die ganze Sache noch einmal überdenken, meine Gedanken sortieren konnte, da flog auch schon meine Faust und stieß auf einen Widerstand. Laureen krümmte sich vor Schmerz, sackte zusammen und stöhnte laut auf. Sie hielt sich den Bauch, doch das war noch immer nicht genug. Die ganze Wut, die sich über die Jahre, besonders über die letzten Monate angestaut hatte, brach aus. Meine Faust sauste erneut auf sie herab, traf diesmal jedoch ihren Kopf. Hinter mir konnte ich schockierte Stimmen hören und mir war, als ob jemand versuchte mich fort zu ziehen. Doch ich wehrte mich und schlug weiter auf sie ein. In diesem Moment, in dem ich einfach alles aus mir raus ließ, da sah ich nicht einfach nur Laureen vor mir auf dem Boden liegen. Ich sah sie alle, meine Mutter, Finn, sogar Liam. Ich sah jedes Gesicht von jeder einzelnen Person, die mir irgendwie das Leben zur Hölle gemacht, mich enttäuscht und verraten hat. Und ich schlug zu, ein Treffer für jede Person auf meiner Liste. Schließlich packte mich jemand an der Taille und warf mich mit Schwung zur Seite. Bis eben hatte ich das ganze Geschehen um mich herum ausgeblendet, doch nun war alles wieder da. Jemand faselte etwas von Polizei, Lehrer kamen in den Raum gestürmt, jemand hielt meine Arme, während jemand anders mit mit dem Fuß auf den Boden drückte. Ich musste wirken wie eine Irre, schlug und trat um mich, aber Gott verdammt fühlte es sich gut und befreiend an einfach alles raus zu lassen. In diesem Moment sah ich nicht einfach nur aus wie ein Monster, nein, ich wurde voll und ganz zu einem. Schließlich ertönten Sirenen und das nächste, was ich bewusst mitbekam, waren Handschellen an meinen Handgelenken und jemand, der mich in ein Auto drückte. So hatte ich mir meinen ersten Tag zurück in der Schule ganz und gar nicht vorgestellt.

Meine Mutter würde mich umbringen. Die Fahrt über fühlte ich mich wie betäubt,wie von Watte umgeben. Nur dieser eine Satz schien in Dauerschleife zu spielen. Sie würde mich von der Polizeiwache abholen und sobald wir zu Hause waren würde sie mich auseinanderreißen. Das konnte nicht wahr sein. Warum musste das alles mir passieren? „Na Kleine? Etwas beruhigt?" Tatsächlich war ich wirklich etwas ruhiger geworden, starrte aus dem Fenster und beobachtete, wie die Welt an mir vorbeirauschte. „Was passiert jetzt mit mir?" fragte ich mit brüchiger Stimme. Ich hatte mehrfach mit voller Kraft zugeschlagen. Wenn ich mich recht erinnerte war überall Blut, welches auch jetzt noch an meinen Händen klebte. Schwere Körperverletzung, das hatte ich begangen. Wenn Laureens Familie Anzeige erstattete, und das würden sie mit Sicherheit, dann sah es für mich verdammt schlecht aus. „So, da wären wir." Sagte einer der beiden Polizisten, während er aus dem Auto ausstieg und mir die Tür aufmachte. Die nächste Stunde verging qualvoll langsam, bis ich schließlich eine vertraute Stimme hörte."Ina! Um Gottes Willen, was ist jetzt schon wieder passiert?" Meine Mutter fiel mir regelrecht um den Hals und als sie mich wieder losließ erstarrte sie. Ihre Augen wanderten mein Gesicht entlang, weiter runter, bis sie schließlich bei meinen Händen stehen blieben. „Wessen Blut ist das? Ina, was hast du getan? Warum musst du mir das antun? Erst die Aktion mit dem Krankenhaus und jetzt das hier. Ich versteh dich einfach nicht. Willst du mich umbringen? Mein armes Herz, das kannst du doch nicht mit mir machen." Tränen schossen mir in die Augen. Sie! Immer ging es nur um sie. Erneut keimte Wut in mir auf und ich stieß sie mit aller Kraft von mir. „Sei still und fass mich nicht an!" Wir befanden uns auf einem Polizeirevier. Natürlich erregte das hier Aufmerksamkeit und mehrere Bullen kamen zu uns gerannt um mich, wenn nötig, fest zu halten. „Gott, was ist nur mit dir geschehen? So kenne ich dich ja gar nicht." Mein Innerstes brodelte, kochte über und ich fing an zu schreien. „Überraschung, Mama, du hast mich noch nie gekannt. Was mit mir geschehen ist? Du bist geschehen!" Jemand griff nach mir, als ich gerade einen Schritt auf sie zumachen wollte. Alles geschah so schnell und ehe ich mich versah saß ich in einem kleinen Raum hinter Gitterstäben. „Keine Sorge, du bleibt nur hier drinnen, bis du dich beruhigt hast." Weggesperrt, zurecht!Ich war ein Monster, meine Wut unkontrollierbar. Ich verdiente es, weggesperrt zu werden. Das hier war die beste Idee, die einem einfallen konnte, in Bezug auf mich und tatsächlich dauerte es gefühlte Stunden, ehe wieder jemand kam um mich raus zu lassen.

Mittlerweile hatte ich mich wieder beruhigt und der Mann brachte mich erneut zu meiner Mutter. Sie bedachte mich mit ihrem typisch kalten Blick, sagte kein Wort und deutete mit einem Nicken an, dass ich ihr zum Wagen folgen sollte. Als wir im Wagen saßen machte sie kurz den Mund auf, so als wollte sie etwas sagen, verkniff es sich dann jedoch, startete den Motor und fuhr los. Heute hatte ich es geschafft. Zum ersten Mal hatte ich meine Mutter sprachlos gemacht. Ob das jedoch etwas gutes war bezweifelte ich stark. Zunächst starrte ich nur gedankenverloren aus dem Fenster, bis ich mir jedoch der Umgebung bewusst wurde. Der Weg kam mir nicht bekannt vor und wir waren an einem Ortsschild vorbeigefahren, welches mir absolut nichts sagte. „Wohin fahren wir? Das hier ist nicht der Weg nach Hause." Sie schwieg weiterhin, ihr Blick nach vorne auf die Straße gerichtet. „Mama?" Hakte ich nach und sie gab schließlich klein bei. „Da liegen Reinigungstücher. Es wäre besser, wenn du dir das Blut von den Händen wischst. Und vergiss die Spritzer in deinem Gesicht nicht." Das war jedoch keine Antwort auf meine Frage, also versuchte ich es erneut, während ich nach den Tüchern griff und begann mich zu säubern. „Wohin bringst du mich?" Meine Stimme war dieses Mal zittriger und ihr Blick weiterhin emotionslos, unmöglich zu deuten. Ein weiteres Mal wollte ich meine Frage stellen, doch dazu kamich nicht mehr. Wir fuhren auf einen Parkplatz und vor uns erhob sich ein großes Gebäude, welches mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Auf einem Schild stand in großen Lettern ‚Nervenheilanstalt' geschrieben. „Eine Klapse? Das kann nicht dein Ernst sein. Ich bin nicht verrückt. Das kannst du mir nicht antun!" Ich wollte es ihr ausreden, musste es, doch eine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir, dass es bereits zu spät war. Alles Flehen der Welt würde nichts mehr bringen. „Du bist 15 Ina, das heißt, ich kann das tun. Glaub mir, das ist das letzte was ich will aber du lässt mir einfach keine Wahl. Hast du dir mal angesehen was aus dir geworden ist? Vielleicht hätte ich die Zeichen eher sehen, dich früher hier her bringen sollen. So wie du dich in letzter Zeit entwickelt hast. Glaub mir Schatz, ich will nur das Beste für dich" Sie wagte sich nicht einmal mich anzusehen, während sie mit mir sprach. „Das ist Wahnsinn. Ich mach da nicht mit. Du kannst mich nicht zwingen." Meine Hand schnellte zur Autotür. Raus hier, Weg hier, das musste ich. Einfach fliehen, wegrennen, ganz egal wohin. Doch die Tür war verriegelt. „Lass mich raus, sofort!"Wutentbrannt starrte ich sie an, mit mir selber ringend ihr nicht an die Kehre zu springen. „Glaub mir, es ist nur zu deinem Besten." Als sie das sagte sah ich auch schon zwei Männer und eine Frau aus dem Gebäude kommen. Sie kamen direkt in unsere Richtung. „Lass mich raus!" Kein Ausweg, keine Flucht. Zu schnell waren sie bereits bei uns. Als meine Mutter die Tür entriegelte versuchte ich dennoch loszustürmen, mich ihren Fängen zu entreißen, doch es nützte alles nichts. Die Männer packten mich an den Armen und als ich versuchte u mich zu schlagen, mich zu befreien, gab die Frau mir eine Spritze und sämtliche Kraft verließ meinen Körper, bis mir schließlich schwarz vor Augen wurde.

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Antworten Zuletzt bearbeitet am 14.07.2020 01:01.

LiskaFly

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Re: Black Sheep [Character story; Roman]

von LiskaFly am 13.12.2020 14:37

Kapitel 4


Als ich wieder zu mir kam befand ich mich in einem weißen Raum. Er ähnelte stark dem Zimmer, welches ich im Krankenhaus hatte. Jedoch gab es einen entscheidenden Unterschied zu meinem Aufenthalt dort. Meine Arme und Beine fühlten sich unglaublich schwer an und als ich versuchte sie zu bewegen, hielt mich etwas zurück. Schockiert begutachtete ich die Lederriemen, welche um meine Hand- und Fußgelenke geschlungen waren. Man hatte mich an das verdammte Bett gefesselt?! „Nein, nein, nein!" Ich zerrte und zog so stark ich konnte, doch es nützte nichts. Das einzige, was ich damit bewirkte, waren Schmerzen. Irgendwann gab ich es dann schließlich auf und schrie. Jemand sollte kommen. Jemand sollte herkommen und mich losmachen. War es eine gute Idee um das zu erreichen wie eine Verrückte zu schreien? Vermutlich nicht. Ich tat es dennoch, da mein Gehirn gerade nicht auf Rationales Denken eingestellt war.

Tatsächlich hatte ich gewissermaßen sogar Erfolg mit meiner Herangehensweise, denn nach nur gefühlt 5 Minuten öffnete sich die Tür des Raums und eine Frau kam herein. Sie war groß und schlank. Ihre roten Haare zu einem Dutt hochgebunden. Sie trug eine minzfarbene Bluse und schwarze Jeans. Ihr Gesicht wirkte kalt, emotionslos und ein wenig erinnerte sie mich an meine Mutter mit ihrer ausdruckslosen Miene. „Was?!" fauchte ich sie an. „Wollen sie einfach nur da stehen und mich anstarren oder machen sie mich los?" Sie hielt einen Block und einen Kugelschreiber in der Hand, mit dem sie unaufhörlich klickte. Jedoch wirkte es eher so als täte sie dies unterbewusst und nicht um mich wahnsinnig zu machen. Dennoch hatte es eben diesen Effekt. Schließlich merkte sie, wie still und nervös ich auf einmal wurde und klemmte den Stift an ihren Block. Dann kam sie auf mich zu, zog einen Stuhl heran auf dem sie sich niederließ und mich eindringlich musterte. Mir gefiel das alles ganz und gar nicht, doch was konnte ich in diesem Moment schon tun. Sie anschreien oder anflehen mich gehen zu lassen? Nach einer Weile begann sie dann endlich zu sprechen. „Ina Weiß, richtig? Ich bin Frau Johnson, die dir zugewiesene Psychologin. Eigentlich sehen die Aufnahmen neuer Patienten hier anders aus aber du hast ganz schön Eindruck hinterlassen. Das macht es hier niemandem wirklich leicht." Vielleicht war es doch ganz gut, dass ich in diesem Moment gefesselt war, denn mein erster Reflex nach ihrer Aussage war, ihr meine Faust in ihr hübsches Gesicht zu schlagen. „Ich habe dem hier nicht zugestimmt. Das ist Freiheitsberaubung. Ihr könnt das nicht mit mir machen." Um meine Aussage zu unterstützen rüttelte ich erneut an meinen Fesseln, welche in mein Fleisch schnitten und erneute Schmerzen durch meinen Körper jagten. Ihre Miene veränderte sich jedoch kein Bisschen, blieb durchgehend emotionslos. Dann seufzte sie kurz und sprach erneut. „Erstens, du bist noch nicht volljährig. Und da dein Vater aus dem Bilde ist, hat deine Mutter das Sagen darüber ob du hier bleibst oder nicht. Zweitens, wenn ich das richtig verstanden habe, dann hast du jemanden zusammengeschlagen, wolltest auf einer Polizeiwache auf deine Mutter losgehen und dann soll es noch einen Vorfall in Bezug auf deine eigene Sicherheit gegeben haben. Für mich sind das alles sehr gute Gründe um dich hier zu halten. Aber entgegen dem was du vermutlich gerade denken magst geht es hier nicht darum dich wegzusperren. Deine Mutter macht sich Sorgen um dich und deswegen bist du hier, damit man dir hilft." Bullshit, mir helfen? Mir war nicht zu helfen. Nicht von meiner Mutter und erst recht nicht von solch einer Tunte aus ner Irrenanstalt. Und als ob meine Mutter MIR helfen wollte. Wenn, dann tat sie dies nur um ihren eigenen Ruf zu wahren. „Ich bin nicht verrückt!" Meine Wut klang langsam ab und machte stattdessen Tränen Platz, welche sich langsam in meinen Augen sammelten. „Ich gehöre hier nicht her." Ihre emotionslosen Augen ruhten auf mir. Vermutlich hörte sie diese Worte ständig. Natürlich würde niemand dazu stehen verrückt zu sein. Jeder Verrückte würde seinen Wahn automatisch abstreiten. Und vielleicht... vielleicht wussten manche nicht einmal, dass sie nicht ganz richtig im Kopf waren, da es für sie ganz normal war. Sie kannten es nicht anders. Aber so war ich nicht. Ich war komplett klar im Kopf. Ich wusste was mir geschehen war, woher meine Wut kam, warum ich so reagierte. „Es hat keiner behauptet, dass du verrückt bist. Dir ist etwas schreckliches passiert und das nagt an dir. Keiner kommt so einfach über so etwas hinweg. Du bist verletzt und das hier ist deine Chance zu heilen." Schön hatte sie das ausgedrückt, eine Rede, die sie vermutlich jedem neuen Patienten hielt. „Wie lange soll ich hier so gefesselt bleiben? Meine Hände tun weh." Sagte ich schließlich nach einem unangenehmen Moment voller Stille. „Ach? Ich frage mich woher das nur kommen könnte. Du würdest definitiv weniger Schmerzen haben, wenn du dich nicht dagegen wehren würdest." Mich nicht dagegen wehren? Wenn sie nur wüsste was es tatsächlich bedeutet sich gegen etwas zu wehren, was man nicht will. Diesen Satz hatte ich schon von ganz anderen Leuten gehört. Sie hatte keine Ahnung, wie ihre Aussage wieder Wut in mir aufflammen ließ. Und dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Es sah beinahe sogar aus, als würde sie lächeln. Das heißt, ihr Mundwinkel bewegte sich minimal nach oben, während ihre Augen jedoch genau gleich blieben. „Versprichst du mir ruhig zu bleiben, mich nicht zu schlagen oder zu treten und mir brav zu deinem Zimmer zu folgen?" Zu meinem Zimmer? Also würde ich nicht meinen gesamten Aufenthalt in dieser weißen Zelle hier verbringen. Ich konnte nur hoffen, dass mein Zimmer ein wenig einladender sein würde als dieser Raum hier, wobei das sicherlich nicht schwer hinzubekommen war. Der Raum in dem wir uns gerade befanden war so kalt und trostlos, vermutlich wäre sogar eine Gefängniszelle einladender gewesen. Ich nickte ihr stumm zu und sie begann mich vom Bett zu lösen. Währenddessen konnte ich es mir nicht verkneifen vor Schmerz aufzustöhnen. Mein Handgelenk war durch meine vorherigen Versuche mich zu befreien ganz rot und geschwollen. „Hmmm... komm mit, wir holen dir erst eine Wundsalbe dafür. Das sieht schmerzhaft aus." Natürlich hatte sie mein Zucken bemerkt und machte jetzt einen auf fürsorglich und hilfsbereit. Gott, ich konnte diese Frau jetzt schon nicht ausstehen. Sie war die für mich verantwortliche Psychologin? Bedeutete das etwa, dass ich regelmäßig bei ihr sitzen und über meine Probleme reden musste? Irgendwie hatte sie so eine Art an sich, die mir einfach nicht gefiel. Die Zeit hier würde definitiv die reinste Hölle für mich werden und dennoch folge ich dieser Frau vorerst still.

Nachdem wir einen kurzen Zwischenstopp einlegten um mir die Salbe zu holen, blieben wir schließlich vor einer von vielen gleich aussehenden Türen stehen. Sie öffnete diese und drückte mir die Tube in die Hand. „Du teilst dir das Zimmer mit einem anderen Mädchen. Ihr Name ist Emma und sie ist zwei Jahre jünger als du. Gerade ist sie in einer Gruppensitzung, dürfte jedoch bald wieder hier sein." Ich nickte, weiterhin stumm. „Warte erstmal hier auf dem Zimmer. Es kommt gleich eine Schwester vorbei, die dich ein wenig herumführen wird. Sie ist zudem deine Vertrauensschwester und wird dir vielleicht noch ein paar Fragen stellen, welche deine Mutter nicht eindeutig beantworten konnte. Bis dahin kannst du ja die Sachen auspacken, welche deine Mutter für dich vorbeigebracht hat." Ich sollte also im Zimmer warten, ein Kinderspiel. Konnte sie nun endlich aufhören zu reden und mich alleine lassen? „Wir sehen uns dann bei deinem ersten Einzelgespräch wieder. Versuche bitte bis dahin keinen Ärger zu machen." Endlich, so als hätte sie meine Gedanken gelesen, verabschiedete sie sich. Wobei es mir jedoch gar nicht passte, wie sie mir unterstellte Ärger verursachen zu können. Diese Frau wusste einen Scheißdreck über mich. Ich verursachte keinen Ärger, ließ mich höchstens auf ihn ein, wenn jemand anderes ihn provozierte. Und nun stand ich hier, alleine mit meinen Gedanken. Alles in mir drehte sich. Das hier wirkte so surreal, wie ein schlimmer Traum aus dem ich jeden Moment erwachen würde. Doch das tat ich nicht, denn das hier war kein Traum. Wie zur Hölle war ich nur hier gelandet? Nein, ich wusste genau wie ich hier gelandet war, aber wie konnte mein Leben nur dermaßen aus dem Ruder laufen und mich in diese Situation bringen? Ein paar aufkommende Tränen weg blinzelnd betrat ich den kleinen Raum und betrachtete seine Inneneinrichtung. Zwei Betten, zwei Schränke, ein Fenster mit Gittern davor, sonst nichts. Auf einem der Betten lagen ein paar Klamotten, vermutlich von dieser Emma. Vor dem anderen Bett lag eine mir bekannte Reisetasche. Meine Mutter, bei dem Gedanken an sie wurde mir wieder ganz komisch. Wut, Hass, wenn ich hier rauskam, würde diese Frau nie wieder von mir hören. Es graute mir bereits die Tasche zu öffnen, da sie mit Sicherheit gerade die Klamotten für mich eingepackt hatte, welche ich am wenigsten ausstehen konnte. Mein Kleidungsstil hatte ihr noch nie gepasst, seit ich alt genug war mir meine Sachen selber auszuwählen. Sie nutzte stets jede Chance um mein Äußeres zu kritisieren. Zu viel Schwarz, zu düster, zu viele Schädel und makabere Motive, zu viele Risse, das eine ließ mich klein aussehen, das eine war zu reizvoll und das andere ließ mich zu dick aussehen. Wenn es nach ihr ginge würde ich stets rosa tragen, schicke Blusen, Hosen und Röcke die ja nicht so kurz sein durften, dass man meine Knie sah. Wen es nach ihr ginge, dann wäre ich ihr hübsches, kleines Püppchen, welches als Jungfrau sterben müsse, weil es ja schlecht auf sie reflektieren würde, wenn ich eine Beziehung mit einem Mann hätte. Tja, wenn sie nur wüsste...

Mein Gedankengang wurde von einem zögerlichen Klopfen unterbrochen. Eine Blonde Frau stand in der Tür und lächelte mich an. Sie war etwas kleiner als ich und schlank, jedoch nicht so dürr wie ich. „Ina Weiß?" Fragte sie mich mit einer hellen, klaren Stimme und ich nickte. „Hi, ich bin Schwester Dalia. Bist du bereit für unseren Rundgang?" Ihre Stimme passte perfekt zu ihrem Äußeren. Das süße Püppchen, woran ich eben gedacht hatte? Das war die perfekte Beschreibung für sie. „Wenn ich hier schon festsitze, dann sollte ich mich zumindest auch zurechtfinden." Murmelte ich vor mich hin. Für einen Moment schwankte ihr Lächeln, doch dann lief sie los und sagte freudig: „Schön, dann immer mir hinterher. Zunächst liefen wir den Flur entlang, welcher sämtliche Patientenzimmer beherbergte und anschließend kamen wir in einen anderen Teil des Gebäudes. „Hier befinden sich die Therapeutenräume. Die Einzelgespräche finden hier statt." Sie sah zu mir, wartete ein paar Sekunden ab und sprach dann weiter. „Jede Tür ist mit dem Namen des jeweiligen Therapeuten beschriftet, also kannst du dich hier nicht verirren. Deine Therapeutin ist Frau Johnson, nicht wahr? Ihr Raum befindet sich ganz am Ende des Flurs. Eine nette Frau, ich bin mir sicher, dass ihr euch super verstehen werdet." Mein Inneres zog sich zusammen. De olle und ich? Ja sicher, wir würden ganz sicher beste Freundinnen werden, in meinen schlimmsten Alpträumen. „Sag mal, möchtest du nicht mal lächeln? Du wirst schon sehen, so schlimm ist es hier nicht." Lächel mal. Lächel mal, wie oft ich diese Aussage schon gehört hatte.Als ob ein Lächeln auf magische Art und Weise alles besser machen würde. Ich gab mir größte Mühe ihre Aussage zu ignorieren und sah nicht ein, dass ich meinen Gesichtsausdruck ändern sollte. Sie stachelte auch nicht weiter nach, zum Glück. „Gibt es irgendetwas, was du gerne machst? Irgendwelche Hobbies?" Die positive Energie dieser Frau faszinierte mich. Ich war ganz offen nicht an Smalltalk interessiert und sie versuchte es dennoch. „Ja, die gibt es." Sagte ich knapp in der Hoffnung, sie würde es dabei belassen, doch erzielte ich genau das Gegenteil. Sie strahlte mich an und fuhr fort. „Ach ja? Dann erzähl mal. Was machst du so in deiner Freizeit?" Das war eine gute Frage. Was machte ich eigentlich gerne? Ich liebte Musik, konnte stunden lang meine Lieblingsbands hören und nebenbei nur im Bett herum liegen. Gelegentlich las ich auch mal gerne ein gutes Buch. Eigentlich hatte ich den Großteil meiner Freizeit mit Finn verbracht und ab und zu auch mit Liam. Doch beide waren nun definitiv aus dem Bild. Die letzten Wochen lag ich zunächst im Krankenhaus, wo es nicht viel zu tun gab. Anschließend hatte ich zu Hause keine Motivation gehabt irgendetwas zu tun. Musik war eigentlich das einzige, was ich hatte, keine anderen Hobbies und nichts anderes, was mich interessierte. Also beschloss ich dabei zu bleiben und ihr nicht mehr zu verraten. „Ich höre viel Musik." Ich gab mir größte Mühe mein Desinteresse über meine Stimme zu zeigen, denn Smalltalk war so ziemlich das letzte, was ich jetzt brauchte.Sie hielt erneut an und für einen Moment dachte ich es wäre aufgrund der Art und Weise wie ich mit ihr sprach. Doch sie war nicht wie meine Mutter und schien den Ton meiner Stimme einfach zu ignorieren. „Hier sind die Therapieräume. Kunst-, Ergo-, und Musiktherapie finden hier statt. Die Räume sind ebenfalls alle beschriftet. In welchem der Räume deine Therapien stattfinden, das steht dann auf deinem Therapieplan. Wenn du Musik so sehr magst, dann wird dir die Musiktherapie bestimmt sehr viel Spaß machen." Ganz sicher nicht, dachte ich zu mir selbst. Da würde man mich sicher zwingen mit anderen zusammen Musik zu machen, vielleicht sogar zu singen. Höchstwahrscheinlich hatten die anderen Patienten einen ganz anderen Musikgeschmack als ich. Nein danke, darauf konnte ich gerne verzichten.

Die Tour ging weiter und Schwester Dalia erklärte mir ganz genau, welche Therapie wo stattfand. Auch den Gemeinschafts- und Freizeitbereich zeigte sie mir, was jedoch nicht sonderlich aufregend war. Es sei denn man stand auf Puzzles und Brettspiele für kleine Kinder. Letztendlich kamen wir zum Garten. Er sah trostlos aus.Das Gelände an sich war sehr weiträumig und leer, bis auf vereinzelt stehende Bäume sowie drei Pavillons. Sie waren auf den gesamten Bereich verteilt. „Rauchen ist verboten. Du wurdest zwar beim Eintreffen kontrolliert ob du irgendwelche süchtig machenden Substanzen bei dir hast, aber man weiß nie, ob und wie die Patienten hier an solche Dinge rankommen. Trauriger Weise gibt es immer irgendwen, der erwischt wird. Sei gewarnt, wenn du vorhast dich auf irgendwelche krummen Dinge hier drinnen einzulassen und gegen die Regeln zu verstoßen,dann werden bei dir regelmäßige Kontrollen gemacht, unter anderem auch Drogentests." Für einen Moment verschwand die Leichtigkeit aus ihrer Stimme und es wirkte fast so, als würde sie sich an etwas erinnern. Gab es hier bereits irgendwelche Vorfälle? Vielleicht etwas, das schlimm geendet hatte? Bevor ich jedoch die Chance hatte irgendetwas dazu zu sagen, wurde sie wieder so sorglos wie zuvor. „Allerdings wirkst du auf mich nicht wie die Art Mädchen. Ich denke, dass du hier keine Probleme haben wirst. Du musst dir also keine großartigen Sorgen machen." Natürlich, sie kannte mich ja so absolut gut, dass sie mich so einschätzen konnte. Aber hey, immerhin schien sie mich nicht für verrückt, gefährlich oder ähnliches zu halten. Sie schien ein normales Mädchen in mir zu sehen. Ein ‚gutes' Mädchen, aber immerhin keine Verrückte. Ob ich ihre Erwartungen in mich noch brechen würde, das konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, da sich noch immer alles so unwahr anfühlte. „So, jetzt hast du soweit alles gesehen bis auf die Kantine. Erstmal werde ich mit dir noch ein wenig Papierkram durchgehen und dann bringe ich dich zur Essensausgabe, damit du heute noch Mittag bekommst. Am besten setzen wir uns hier drüben hin." Damit steuerte sie auf eine Bank zu und ich folgte ihr.

„Deine Mutter hat das Meiste zwar schon ausgefüllt, doch es gibt ein paar Sachen, bei denen sie sich unsicher war. Das sind reine Routinefragen, die beantwortet werden müsse, damit du hier die bestmögliche Hilfe bekommen kannst." Sie zeigte mir de Zettel, welche sie dabei hatte und es schienen ganz normale Aufnahmeformulare zu sein. Das meiste war tatsächlich bereits in der fein säuberlichen Handschrift meiner Mutter beantwortet. Jedoch gab es Felder wie zum Beispiel meine Essgewohnheiten, welche noch leer waren. Schwester Dalia und ich gingen schnell eine Frage nach der anderen durch, wobei sie mich auch die bereits ausgefüllten noch einmal fragte um sicherzugehen, dass meine Mutter das richtige für mich hingeschrieben hatte. Als wir schließlich fertig waren atmete sie kurz scheinbar erleichtert auf. „Sehr schön, ich hasse Papierkram, das ist immer so trocken und langatmig. Aber das hätten wir ja jetzt abgehakt. Hier, das gebe ich dir mit." Sie drückte mir einen dünnen Hefter in die Hand, in dem sich ein paar weitere Zettel befanden. „Das sind noch ein paar Fragebögen, die du bitte für deine Therapeutin ausfüllen und diese zum ersten Einzelgespräch mitbringen sollst. Außerdem befindet sich darin dein Therapieplan.Und das her brauchst du auch noch. Kann ich mal deine Hand haben?" Zögerlich hielt ich ihr meine Hand hin und sie atmete kurz hörbar auf, als sie die rote Schwellung an meinem Gelenk sah. „Keine besonders schöne Ankunft hier gehabt?" Sie wirkte in diesem Moment so ehrlich betroffen, dass ich ihr ihr Mitgefühl beinahe abkaufte. Dann zog sie ein Band aus ihrer Tasche und band es mir um mein Handgelenk. Auf dem Armband stand eine fünfstellige Nummer. „Das ist deine Patientennummer." Erklärte sie knapp. „Bei der Essensausgabe wirst du gebeten dein Band vorzuzeigen und basierend auf deiner Nummer wird dir dann dein Essen zugeteilt." Wow, es wurde hier tatsächlich alles kontrolliert. Ich fühlte mich immer mehr wie in einem Knast. Mit Sicherheit gab es auch jemanden, der im Essensraum stand und darauf achtete, dass alle brav ihr Essen aßen. Das reinste Irrenhaus, wie sollte man hier bitte besser werden? Gerade dieses kontrollierende Verhalten der Aufseher konnte ohnehin labile Personen nur noch verrückter machen. „Ich denke das war soweit alles. Hast du noch irgendwelche Fragen?" Ja, schoss es mir durch den Kopf. Nur eine. Ich wusste die Antwort darauf zwar schon, dennoch musste ich sie fragen. „ Wann komme ich hier wieder raus?" Sie zog die Augenbrauen zusammen, neigte ihren Kopf leicht zur Seite und ihre Lippen verzogen sich zu etwas, das annähernd einem Lächeln ähnelte. „Das kann ich dir nicht sagen. Von Patient zu Patient ist das unterschiedlich. Jeder braucht seine eigene, individuelle Zeit um zu heilen. Ich weiß, das alles hier mag in diesem Moment etwas überwältigend scheinen, aber wenn du dich erstmal eingelebt hast, dann wirst du deinen Weg schon finden. Versuch einfach dich an die Regeln zu halten und keinen Ärger zu provozieren, dann wirst du im nu wieder draußen sein. Am Ende ist es deine Therapeutin, die entscheidet, wann du bereit dazu bist entlassen zu werden." Sie hatte definitiv Mitleid mit mir, das war der Ausdruck in ihrem Gesicht. Mitleid... Aber ich wollte kein Mitleid. Ich war immernoch ich. Was mir passiert war, das war nunmal passiert und ich kam damit klar. Ich hatte kein Problem. Die anderen waren die mit den Problemen. Sie konnten nicht verstehen wasmit mir passiert war. Sie konnten mich nicht verstehen und das würden sie auch niemals. „Also, wenn das alles war und du keine weiteren Fragen hast, dann bringe ich dich jetzt zur Kantine. Nach dem Mittagessen geht es dann los mit deinem Therapieplan." Sie stand auf und deutete mir erneut ihr zu folgen. Vor dem Eingang zur Kantine verabschiedete sie sich schließlich von mir und ließ mich allein. Den Hefter in meiner Hand atmete ich noch einmal tief durch, ehe ich mich wagte durch die Tür zu gehen.

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Antworten Zuletzt bearbeitet am 13.12.2020 14:44.

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