Aus der Hölle [Kurzgeschichte]
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Caledonia
Gelöschter Benutzer
Aus der Hölle [Kurzgeschichte]
von Caledonia am 19.12.2019 15:14
Aus der Hölle
Es war still, nur ihre Schritte hallten vom Kopfsteinpflaster wieder.
Unbemerkt folgte ihr ein Schatten.
Er kannte sich aus in den Gassen, den dunkelsten Orten Londons.
Sie konnte nicht entkommen.
Die Stadt war ausgestorben, die Fenster und Türen verschlossen.
Ohne sich umzusehen überquerte sie die Straße.
Eng an die Wände der Häuser gepresst, schlich er ihr nach. Zwielichtiger Verfolger, der Unheil mit sich brachte.
Im spärlichen Licht der Straßenlaterne ließ sich ihre Schönheit erahnen.
Ein kaltes Lächeln huschte über seine Züge.
Er liebte seine Arbeit.
Die Kirchturmuhr schlug elf.
An einer Kreuzung blieb sie stehen und blickte zurück. Der Mond spiegelte sich in ihren Augen. Ihren wunderschönen Augen, die bald für immer geschlossen würden.
Freudige Erregung wuchs in ihm. Ein Jäger und seine Beute.
Zögernd setzte sie ihren Weg fort.
Er musste sich beeilen.
Mit einem Ruck löste er sich aus Schwärze.
Das Mondlicht wusch sie rein. Er ballte die Hand zur Faust
Binnen wenigen Sekunden stand er dicht bei ihr und entblößte die Klinge eines Messers.
Heiß floss ihr Blut über seine Hände. Tote Augen. Zufriedenheit.
Reglos stand sie vor dem Spiegel.
Aschgraue Augen. Blutrote Wangen. Nachtschwarzes Haar.
Ihre Lippen formten stumme Worte. Schweigendes Geständnis.
Plötzlich verzerrten sich ihre Züge zu einer Fratze. Albtraum im Spiegel.
Ruckartig drehte sie sich um und schlug die Hände vors Gesicht. Sie spürte ein Beben das ihren Körper durchfuhr. Schatten der vergangenen Nacht.
Einige Sekunden stand sie zitternd da, dann richtete sie sich auf.
Langsam ging sie auf den Tisch zu, setzte sich und griff nach der Feder. Beinahe zärtlich strich sie über die Fahne. Weiß. Rein. Dann tauchte sie die Feder entschlossen ins Tintenfass und begann zu schreiben.
„Lucy?" Die Tür öffnete sich.
Hastig schob die junge Frau das beschriebene Papier beiseite und erhob sich.
Dabei stieß sie das Fass um. Tinte tropfte auf den Untergrund. Verzehrendes Schwarz.
Ein Mann trat ins Zimmer. „Hast du schon gesehen...", fragte er und deutete auf das Titelblatt der TIMES, die er in der Hand hielt. Zögernd nahm sie ihm die Zeitung aus der Hand, jedoch nicht ohne einen raschen Blick zurück.
Geduld, ermahnte sie sich. Dann begann sie die Schlagzeile zu lesen:
Brutaler Mord erschüttert Bewohner des Londoner East-Ends. Inspektor Lusk hat Tatverdächtigen bereits festgenommen.
Kaum merklich schüttelte sie den Kopf. Unwissend.
Ihr Vater nahm ihr die Zeitung aus der Hand.
„Grausame Sache, diese Morde."
Sie antwortete nicht, sondern starrte nur auf das Foto der entstellten Leiche.
Hässlich, dachte sie.
„Ich möchte, dass du nach Einbruch der Dunkelheit das Haus nicht mehr verlässt.", befahl ihr Vater streng und klemmte sich die TIMES unter den Arm.
„Du wirst fortan nur noch mit Begleitung auf die Straße gehen. Haben wir uns verstanden. Und diesen Mr. Kosminski wirst du auch meiden."
Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe. Herzensdieb.
„Er mag ein gutaussehender und scheinbar anständiger Mann sein, aber er ist Jude und noch dazu ein Ausländer. In diesen Tagen kann man nicht vorsichtig genug sein."
Seelenmörder.
Er strich ihr über die Wange und sah sie eindringlich an.
Kaum merklich zuckte sie zusammen. Dann nickte sie.
Maske eines Trauerspiels.
Er hielt einen Moment in der Bewegung inne.
Die Nacht hatte sich bereits über die Stadt gesenkt. Es war Zeit.
Entschlossen packte er die Feder und beendete den Brief mit drei simplen Wörtern. Überflüssig, doch es gab dem Grauen einen Namen. Geburt des Phantoms der Finsternis.
Grinsend betrachtete er die Tintenflecke auf dem Papier.
In der Dunkelheit war Blut fast schwarz.
Ungeduldig saß sie auf ihrem Bett und wartete.
Das Foto in ihrer Hand war abgegriffen und zerknickt.
Spott schien in seinen sanften Augen zu blitzen und sein liebevoll lächelnder Mund schien zu einem verächtlichen Grinsen verzogen. Schmerzlich vertraut.
Peinigende Erinnerung flackerte auf.
Rote Lippen. Lockender Blick.
Die törichte Liebe eines Kindes. Vertrauend in Trug und Lüge.
Versuchung. Verlangen. Lust.
Hass. Feuer in ihrer Brust, verzehrend, zerstörend.
„Heuchler!", schrie sie.
Enttäuschung, die sie unberechenbar werden ließ.
Vergangen, doch nicht vergessen.
Abrupt stand sie auf, getrieben vom Geist der Vergangenheit.
Einige Male drehte sie das Foto nervös in ihrer Hand hin und her, dann faltete sie es in der Mitte und steckte es zu dem Brief in ihrer Manteltasche. Flüchtig streiften ihre Finger über Metall. Verheißungsvoller Trost.
Der kühle Nachtwind wehte ihr wohltuend durchs Haar, als sie aus dem Haus auf die Straße trat.
Tod.
Schon wieder ein Mord. Inspektor Lusk steckte sich eine Zigarre an, ehe er sich an den Schaulustigen vorbeidrängte, um die Leiche in Augenschein zu nehmen.
Zweifellos, ein Werk des Satans, grausam und ohne mitleid.
Das dunkle Haar der Frau war von Schlamm und Blut völlig verkleb, ihr Gesicht eine Fratze. Verstümmelt und entstellt. Die vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, ließen das Grauen, das sie in der Stunde ihres Todes gesehen haben mussten, erahnen.
Nervös stieß der Inspektor den Rauch aus.
Bereits der dritte Mord dieser Art innerhalb vierzehn Tagen und noch immer tappte die Polizei im Dunklen. Es schien unmöglich diese Bestie zu fassen.
Wer so etwas tut, muss direkt aus der Hölle kommen, dachte der Beamte und ging in die Knie, um den Leichtnahm genauer zu betrachten. Dabei bemerkte er einen Brief in der Hand der Toten.
Vielleicht endlich ein Hinweis.
Zuversichtlich hob er das Papier auf und faltete es auseinander.
25. September 1888
Aus der Hölle.
Inspektor Lusk,
ich habe gehört, die Polizei hätte mich geschnappt, aber noch ist es nicht soweit. Es amüsiert mich wie Sie glauben auf der richtigen Fährte zu sein und doch nichts wissen.
Ich bin noch immer hinter Huren her. Erst meine letzte Tat war ein Meisterwerk. Das Miststück konnte noch nicht mal mehr schreien. Wie also wollen sie mich fassen, mein Freund?
Ich liebe meine Arbeit und werde weiter machen.
Mein Messer ist wundervoll scharf. Ich möchte gleich wieder ans Werk gehen, wenn sich eine Gelegenheit bietet.
Fangen Sie mich, wenn sie können Mr. Lusk
Jack the Ripper