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Das Zimmermädchen [FSK18]

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Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

Beiträge: 180

Kapitel 2, Episode 3

von Alina am 15.10.2016 14:21

Guyon Hotel, 4000 W. Washington Blvd., Chicago, Illinois
22nd of June, 1928


Quelle des Bildes

 In wievielen Hotels sie schon gearbeitet hatte, das wusste sie nicht mehr. Aber die Stationen auf der Landkarte, die würde sie wohl noch zusammenbekommen. Als sie aus New York verschwinden musste, ging sie zunächst nach Philadelphia. Dann kam Indianapolis, dann Louisville und dann endlich Chicago. Sie hätte sofort Chicago wählen sollen, aber woher hätte sie das damals wissen sollen? Damals war es ihr ganz recht, dass es im Gegensatz zu New York eher verschlafene Städte waren, in denen sie untertauchte. Aufs Land wollte sie keinesfalls – dahin würden sie keine zehn Pferde bringen. Aber spätestens als sie aus Louisville abreiste, wusste sie dass nun wieder eine grössere Stadt an der Reihe war. Und sie hatte von Chicago gehört und auch gelesen. Jeder sprach von Al Capone und seinen Männern, die die Stadt in Atem hielten. Es roch dort nach Abenteuer und natürlich auch nach Geld.

Quelle des Bildes (bearbeitet von Alina)
 

 Cathy konnte nicht von sich behaupten, die Gefahr zu suchen oder sogar nur ein Abenteuer. Aber sie war nicht bereit, ihr Leben in Städten wie Louisville zu verbringen. Dorthin verschlug es nur Farmer und Rinderbarone aus Kentucky. Einmal im Monat verbrachte eine Familie aus New Jersey oder Atlanta ein Wochenende im Hotel, aber das war es auch schon. Und dann war da dieses dumme Missgeschick mit Mr. Burns. Nach einer durchaus aufregenden Nacht war er nochmal aufgestanden und wollte Zigaretten holen, doch er hatte es nicht mal geschafft, das Haus zu verlassen. Er war auf dem frisch gebohnerten Parkett ausgerutscht und hatte sich den Kopf furchtbar aufgeschlagen. Dieser sah aus wie ein Frühstücksei, welches man mit einem Löffel bearbeitet hatte. Das Eidotter lief an der Seite heraus und hatte den schönen Boden wieder in einen Zustand versetzt, der erneut nach einer Reinigung verlangte. Cathy hatte überlegt und dann entschieden, sein Geld und seine Wertsachen an sich zu nehmen und zu verschwinden, nachdem sie seinen Puls gesucht und nicht mehr gefunden hatte. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass es nur Scherereien brachte, überhaupt in irgendeiner Weise mit der Polizei zu tun zu haben. Sie liess sogar die Tür auf und es mochte nach einem Überfall aussehen. Sie war sich ausserdem sicher, dass niemand sie gesehen hatte oder mit Mr. Burns in Verbindung bringen würde.

Schon damals in New York hatte sie das gedacht, als Mr. Buchanan vom Balkon gesprungen war. Es war einwandfrei festgestellt worden, dass sie nichts damit zu tun gehabt hatte, aber trotzdem kam drei Wochen später erneut ein Officer vorbei und sprach Mr. Boomer darauf an, dass eine Catherine Hasselmann in Baltimore ebenfalls indirekt mit einem Todesfall in Verbindung stand und er sie deshalb unbedingt sprechen müsste. Glücklicherweise hatte Cathy zwei freie Tage gehabt und war gar nicht im Hotel gewesen, sondern in Brooklyn. Und Mr. Boomer wusste nicht, wo sie dort genau wohnte. Aber als Cathy zurück ins Hotel kam und von Mr. Boomer unterrichtet wurde, dass sie sich bei der Polizei zu melden habe, da wusste sie, dass es erstens Zeit war, New York schnellstens zu verlassen und zweitens sich nie wieder mit der Polizei einzulassen, nicht mal als Zeugin. Ganz verdattert hatte Boomer sie angeschaut, als würde er die Geschichten der Polizei bereits glauben! Diese verdammten Schnüffler, hatten die denn nichts Besseres zu tun?

Mittlerweile war Cathy in dem kleinen Restaurant angekommen, in dem sie gerne speiste. Sie setzt sich ans Fenster, weil sie gerne die Menschenmassen beobachtet. Und wie gerne sie das erst tat, wenn sie aus dem siebten oder achten Stock des Hotels auf die Stadt herunterblickte. Wie Ameisen sahen die Menschen aus, genauso chaotisch und durcheinander, ein wimmelnder Haufen von Gesichtslosen. Sie bestellt einen Milchkaffee mit Zucker und ein Stückchen Kuchen.

Sie betrachtet sich in der Scheibe des grossen Fensters und streicht sich eine Locke aus dem Gesicht. Sie hatte sich kein bisschen verändert, seitdem die Baltimore verlassen hatte. Oder seit sie in New York war? Sie wusste es nicht. Sie sah aus wie 18 oder 19 oder gar 20. Sie wurde oft auf ein Alter von 19 Jahren geschätzt, wie damals in New York. Dabei ging sie langsam auf die Dreissig zu. Sie wusste nicht, ob ihre Mutter vielleicht ähnlich lange jung geblieben war. Oder hatte sie das von ihrem Vater?

Schon während dieser Gedanken kommt sich Cathy reichlich naiv vor. Sie wusste doch genau, was los war. Oder zumindest hatte sie eine starke Vermutung – anders als damals in New York, als sie in einem Park sass und vollkommen ahnungslos war, was diese Stimmen von ihr wollten. Es hatte weder mit ihren Eltern, noch mit irgendwelchen Cremes oder Wässerchen zu tun, die sie gerne zur Pflege ihrer empfindlichen Haut benutzte. Es war keine Zauberei und auch nicht Gottes Wille. Ganz sicher war es nicht Gottes Wille. Sie lacht leise auf bei diesem Gedanken. Sie hatte mit unzähligen Männern geschlafen, seit sie Baltimore verlassen hatte und viele waren auf mysteriöse Weise umgekommen. Und jedes Mal hatte sie besser verstanden, was diese Stimmen in ihrem Kopf sagten. Die Stimmen in ihrem Kopf hatten nichts Geheimnisvolles oder Beunruhigendes mehr, ganz im Gegenteil. Sie waren zu Begleitern geworden, die wie Schilder am Highway ihren Weg begleiteten, sie sogar leiteten.

Anfangs hatten die Stimmen ihr Angst gemacht, hatten sie verwirrt. Sie hatten ihren Platz eingefordert und Cathy war nicht bereit gewesen, ihnen diesen Raum zu gewähren. Doch mit der Zeit verstand sie, dass diese Stimmen nicht zwingend etwas Schlechtes waren oder sie auf einen falschen Weg brachten, sogar ganz im Gegenteil. Sie waren Fackeln in der Dunkelheit und als sie das begriff, da war alles viel einfacher und vor allem berechenbarer. Die Dinge passierten sowieso – da war es besser, schon im Vorfeld Bescheid zu wissen.

Sprachlich verstehen konnte sie die Stimmen noch immer nicht, aber sie hatte gelernt, ihre Gefühle zu beachten, ja sie zu lesen. Da war dieses Drängen, dieser Druck. Er baute sich ganz langsam auf, ein Murmeln entstand und wurde immer lauter, aber niemals so laut, dass sie sich auf nichts anderes mehr hätte konzentrieren können. Wenn sie nicht handelte, so war es ein stetes Murmeln und Lamentieren, mit gelegentlichen Ausbrüchen von Zorn. Dies schüchterte sie in der Tat ein. Sie konnte es sogar ignorieren, aber es schlug ihr schwer auf die Stimmung. Aber wenn sie dann handelte – wenn sie tat, was die Stimmen von ihr wollten, so hörte es auf und ein warmes Gefühl von Zustimmung, sogar von grosser Anerkennung durchfloss sie. Es fühlte sich besser an, als in den Armen eines Geliebten zu liegen und auf den wunderschönen und warmen Sonnenaufgang zu warten.

Es war gut, wie es war. Seit Cathy sich mit dieser Sache abgefunden hatte, lief alles viel besser. Sie war zu Geld gekommen, hatte keinen Ärger mehr mit der Polizei und sie war fast immer auf alles vorbereitet. Menschen starben so oder so, es machte keinen Unterschied. Nur die Polizei interessierte sich dafür und das nicht mal sonderlich lange. Trat man ein paar Dutzend Ameisen tot, so änderte sich nichts für den Ameisenhaufen, der einen Schritt entfernt lag. Sie hatte das schon oft beobachtet: das Gewimmel ging fröhlich weiter.

 

Soundtrack für diese Episode: Erik Markman - Jazz Traditional (Charleston)


Antworten Zuletzt bearbeitet am 14.06.2021 20:42.

Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

Beiträge: 180

Kapitel 2, Episode 2

von Alina am 14.10.2016 22:54

Guyon Hotel, 4000 W. Washington Blvd., Chicago, Illinois
22nd of June, 1928

Quelles des Bildes

Cathy reinigt gerade das letzte Zimmer, logischerweise war nur noch Zimmer 501 übrig und danach hatte sie endlich Pause. Zusammen mit drei anderen Mädchen hatte sie den ganzen fünften Stock geputzt und alle Zimmer gereinigt. Sie war sich sicher, eine Pause verdient zu haben. Sie wischt sich den Schweiss von der Stirn und schaut auf die Uhr an der Wand, 2.02 PM. Ob es wohl noch etwas Suppe in der Küche gab, vielleicht sogar Braten?

Sie hatte es gut getroffen im Guyon. Natürlich war Mrs. Miller manchmal etwas streng, aber sie konnte eines nicht: überall sein. Die Mädchen hatten mit der Zeit ihre Fähigkeiten entwickelt, Mrs. Miller aus dem Wege zu gehen, vor allem wenn sie schlechte Laune hatte. Und Cathy hatte das bereits auch gelernt. Sie hatte ein eigenes Zimmer, hoch oben unter dem Dach. Im Sommer war es sehr heiss und im Winter war es recht kalt und zugig, doch es war besser als eine eigene Wohnung, in der sie sowieso niemals schlief. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu fast allen Mädchen und auch dem Koch, der sie manchmal mit der ein oder anderen Leckerei versorgte. Er hatte wohl etwas für sie übrig, sie ähnelte seiner Tochter, wie er immer wieder betonte.
Cathy beendet den Raum endgültig und lässt ihren Blick nochmal durch den ganzen Raum schweifen. Ihre Stirn ist gerunzelt und ihrem Blick entging normalerweise nichts mehr. Dafür kannte sie die Arbeit nun schon zu gut.

Sie schiebt den Putzwagen in den Flur und rollt ihn bis zum Ende des Ganges, denn dort befindet sich die Besenkammer. Leise pfeifend öffnet sie die Tür und befördert den Wagen mit einem sanften Stoss hinein und schliesst die Tür wieder. Als sie sich herumdreht, steht ein Mann neben ihr, sie erschrickt etwas. Der Mann lächelt, aber er sieht aus, als würde er nachdenken.
„Kenne ich sie nicht irgendwoher?" Er lupft den Hut. „Wo sind meine Manieren geblieben? Einen schönen guten Tag wünsche ich Ihnen, Miss. Mein Name ist Peterson, Dillon Peterson." Cathy schaut den Mann misstrauisch an, dann sagt sie: „Ja, ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag. Aber ich denke nicht, dass wir uns je gesehen haben."
Doch die Miene des Mannes bleibt nachdenklich, noch einige Sekunden. Dann nickt er kapitulierend. „Gut, gut. Ich vergesse nur nie ein schönes Gesicht wie Ihres." Er lächelt und zwinkert Cathy zu.
Cathy lächelt ebenfalls etwas gequält, dann sagt sie: „Sie entschuldigen mich, ja? Ich habe jetzt Pause." Sie schlängelt sich zwischen der Tür und dem Mann vorbei und beeilt sich, die Treppe herunterzukommen.

Sie meldet sich an der Rezeption ab und verlässt das Hotel. Sie wechselt auf die Madison Street, wo es noch mehr Leute und Geschäfte gibt, als auf dem Washington Boulevard. Dort schlendert sie an den sündhaft teuren Modeboutiquen vorbei. Sie bleibt bei 'Duffies Clothes' stehen, schaut sich im Schaufenster ein verboten schönes Kleid an, geht hinein und ersteht es für 25 Dollar. Mit sichtlich besserer Laune verlässt sie den Laden wieder.

2.jpg

Quelle des Bildes


Die 25 Dollar konnte sie leicht verschmerzen, auch wenn es mehr als ihr Wochenlohn war. Sie brauchte auf ihr Geld nicht mehr zu achten – es war viel schwerer, das vor den anderen zu verheimlichen. Immer wieder musste sie neue Gönner erfinden, die sie aushielten und dank ihres Aussehens nahm man ihr das auch ab. Im Grunde war es auch nicht falsch, denn das Geld kam tatsächlich von Gönnern; nur auf eine andere Weise, als sich die meisten wohl vorstellen konnten.

Hier in Chicago hatte sie endgültig eine Glückssträhne erwischt. Das Hotel bezahlte genauso schlecht wie das letzte Hotel in Louisville, aber darauf kam es gar nicht mehr an. Es waren die exklusiven Gäste, die sehr viel spendabler waren als anderswo. In Kentucky waren die Leute so provinziell – da hätte sie auch in Maryland bleiben können! Geizig und hinterwäldlerisch waren sie. Aber hier spielte das Leben in einem anderen Rhythmus, hier flossen Milch und Honig in Strömen und auch kleine Angestellte wie Cathy bekamen etwas von dem warmen Regen ab. Man musste nur hübsch und höflich sein, aber das war sie. Höflich war sie vielleicht nicht von Natur aus, aber ihre Anpassungsfähigkeit war mit den Jahren zu einer ihrer besten Eigenschaften geworden.

Ausserdem gab es diesen Vorfall in einem Hotel Nähe Wicker Park, wo es zu einer Schiesserei gekommen war und Cathy zufällig in einem Zimmer am Gangende sauber machte. Es war ihre erste Station in Chicago gewesen, als sie zwei Jahre zuvor hier ankam und nachdem sie eine wilde Reise durch die Staaten des Mittelatlantiks und Teile des Mittleren Westens hinter sich hatte.
Als sie die Schüsse hörte, suchte sie Deckung und wusste, dass sie nun gefangen war. Sollte sie den Flur betreten, hätte sie an dem Zimmer vorbeigemusst in dem geschossen wurde und das war ihr dann doch zu gefährlich. Also wartete sie, bis die Schüsse verstummten und dann hörte sie Schritte von Männern, die schnell das Weite suchten. Sie schlüpfte aus dem Zimmer, betrat den Tatort zwei Zimmer weiter, sah mehrere Leichen auf dem Boden liegen und genau vor ihr eine Tasche, die etwas neben der Tür lag. Die Flüchtigen mochten sie übersehen haben. Es lagen einige Bündel Geldscheine daneben und Cathy hatte nicht den Nerv, diese auch noch einzusammeln. Aber sie schnappte sich die Tasche und versteckte sie ganz hinten im Schrank, hinter der Bettwäsche und zwar in dem Zimmer, in dem sie zuletzt sauber gemacht hatte. Und genau da war sie auch noch später, als sie sie wieder hervorholte.

Die zweitausend Dollar in der Tasche entsprachen mehr als zwei Jahreslöhnen, jedenfalls für Cathy. Sie war sich sicher, dass das Geld vermisst wurde, aber die Gangster mochten glauben, dass die Polizei es sichergestellt hatte und die Polizei wusste nichts davon. Also gehörte es nun ihr und sie würde es sicher nicht einfach so verprassen, sondern es gab ihr die Sicherheit, die sie brauchte. Wenn es ihr irgendwo nicht mehr gefiel, dann konnte sie einfach gehen – dieses Gefühl von Freiheit wollte sie nie wieder missen. Und leider es war auch immer wieder nötig geworden, dieses Privileg in Anspruch zu nehmen.



Soundtrack für diese Episode: Memphis Jug Band - Stealin', Stealin'


Antworten Zuletzt bearbeitet am 13.06.2021 16:24.

Alina

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  10. Wannabe Poet

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Kapitel 2 - Chicago

von Alina am 14.10.2016 22:48

Guyon Hotel, 4000 W. Washington Blvd., Chicago, Illinois
22nd of June, 1928

Quelles des Bildes (bearbeitet von Alina)

 

2. Mr. Yale

Die Endreinigung ist gerade fertig, als Mr. Yale bereits mit Mrs. Miller im Schlepptau das Zimmer betritt. Er wohnte immer im fünften Stock und zwar immer in diesem Zimmer, der Nummer 502. Heute sah er etwas gehetzt aus, anscheinend hatte er eine harte Woche hinter sich. Cathy wusste nicht, in welcher Branche Mr. Yale arbeitete, aber sie hatte natürlich von diesen Geschichten gehört, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte. Vielleicht schmuggelte er Alkohol oder handelte sogar mit Waffen. Es würde Cathy nicht wundern, denn Mr. Yale war ein sehr wohlhabender Mann und ausserdem jemand, der den Genuss liebte, sei es Wein, Weib oder Gesang. Oder am besten alles gleichzeitig. Ausserdem hatte er sein Domizil an die Ostküste verlegt und wohnte nun in New York. Aber anscheinend hatte er noch immer Geschäfte in Chicago zu tätigen und wohnte dann zumindest manchmal im Guyon.

Cathy war fertig, aber sie hatte das Zimmer noch nicht verlassen. Dafür handelt sie sich einen vorwurfsvollen Blick von Mrs. Miller ein, die hier im Haus für Ordnung sorgte, besonders unter dem Personal. Dabei hatte Cathy keine Verspätung, im Gegenteil. Sie war sogar schneller gewesen, als sie musste. Mr. Yale sieht es und lacht dröhnend.
„Ach, lassen Sie die Kleine doch. Am besten lassen Sie sie sogar gleich hier, damit ich etwas Gesellschaft habe!"
Yale war auf jeden Fall Italiener, das sah Cathy ihm an. Es war so offensichtlich, dass es keiner grossen Menschenkenntnis bedurfte. Auch sein Habitus entsprach dem eines Italieners in jeder nur denkbaren Form. Er war charmant bis an den Rand der Aufdringlichkeit, er war emotional und wurde schnell laut, aber er war auch grosszügig, wenn es um Trinkgelder ging. Insgesamt gesehen waren die Mädchen froh, wenn er im Guyon einzog. Es gab immer etwas zu Lachen und kaum ein Mädchen ging bei ihm leer aus.

Mrs. Miller runzelt die Stirn und spricht zu Mr. Yale, aber meint ganz offensichtlich Cathy.
„Nein, sie wird jetzt schnell das Zimmer verlassen und im nächsten Raum weitermachen. Und Sie können jetzt in Ruhe hier einziehen, Mr. Yale." Ein weiterer Blick lässt Cathy schnell in Richtung der Türe eilen. Yale ruft noch hinter ihr her: „Cathy, oder? Du kannst mir nachher mal einen Espresso bringen, Bella! Grazie!" Er wirft ihr einen Luftkuss hinterher, aber schaltet sofort wieder um, als es darum geht, letzte Formalitäten mit Mrs. Miller zu regeln.



Soundtrack für diese Episode: Paul Whiteman - My Angel


Antworten Zuletzt bearbeitet am 21.06.2021 13:39.

Alina

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  10. Wannabe Poet

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Re: Das Zimmermädchen [FSK18]

von Alina am 14.10.2016 15:28

Dies ist das Ende des ersten Kapitels meiner Kurzgeschichte. Hier ein kleiner Teaser, wie es heute Nacht weitergeht:


Chicago, 1928

Wieder donnert ein Zug am Fenster vorbei, sicher ein Güterzug. Es ist zu spät für einen Personenzug und er rumpelt noch lauter als die Züge, die früher in der Nacht vorbeikamen. Wieder keucht Cathy und drückt das Kissen fest herunter auf den regungslosen Kopf. Es tut nicht not, dass sie so fest drückt, aber es kommt ihr komisch vor, das Kissen ganz entspannt auf den Kopf zu drücken. Das wäre absurd, sogar verrückt. Für eine Sache wie diese muss man sich einfach anstrengen, oder es fühlt sich falsch an. Cathy schaut auf die Uhr. Es sind schon fünf Minuten. Ihre Arme schmerzen und ihr ist bereits zum zweiten Mal an diesem Abend der Schweiss ausgebrochen.


Danke für euer Interesse bisher. Ich hoffe, euch gefällt die Geschichte. Ich wünsche allen ein angenehmes Wochenende.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 14.10.2016 16:01.

Alina

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Kapitel 1, Episode 7

von Alina am 14.10.2016 15:19

Waldorf-Astoria, Fifth Avenue and 34th Street, New York
21st of April, 1920




Quelle des Bildes


Als Cathy in diesem stickigen und verrauchten Raum sitzt und wartet, dass der Officer sich einen Kaffee holt und ihr hoffentlich einen mitbringt, da sind nicht all ihre Befürchtungen wahr geworden. Es ist Donnerstag Nachmittag und der Tod von Mr. Buchanan hatte sich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ereignet. Ihre Befragung kam ihr sehr routinemäßig vor. Man hatte sie die Geschichte bereits einmal erzählen lassen. Sie hatte das Zimmer geputzt, ihr waren vor allem die Magazine und die Preislisten aufgefallen. Beides hatte man wohl gefunden und schenkte ihr Glauben. Zu ihrem späten Besuch bei Mr. Buchanan hatte man sie noch nicht befragt und sie glaubte auch nicht, dass das noch passieren würde. Anscheinend fiel dieser Auftrag unter den Tisch. Das andere Mädchen, Madeleine, wurde seit Mittwoch morgen verhört. Wieder war sie froh, mit weniger als einem blauen Auge davongekommen zu sein. Sie selbst würde ihren Auftrag nicht erwähnen. Sie konnte immer noch sagen, dass sie ihn vergessen hatte, weil er so unwichtig war.

Sie spielt gelangweilt mit einem Stift des Officers, der in ihrer Reichweite liegt und mit dem sie wahrscheinlich später ihre Aussage unterschreiben muss. Dann klingelt das Telefon und Cathy schreckt etwas auf. Eine Zeitung liegt quer über dem Telefon und sie schaut zur Tür, zieht dann die Zeitung vom Telefon weg, sodass es lauter klingeln kann.

Doch das Telefon hört auf zu ringen, ohne dass der Officer wiederkommt. Sie steht kurz auf, stellt sich auf die Zehenspitzen, um über das blinde Glas der Tür hinauszusehen, doch er ist nicht mal in Sicht. Sie seufzt, setzt sich wieder und zieht die Zeitung zu sich heran. Dann blättert sie lustlos darin herum. Politik interessierte sie nicht sonderlich, dafür war sie zu realistisch. Sie konnte sowieso nichts ändern – warum sich dann nicht um die eigenen Angelegenheiten kümmern? Der Grossteil ihrer Landsleute dachte wohl genauso, auf jeden Fall ihre Familie und die Leute aus Baltimore. Von den New Yorkern wusste sie es nicht so genau.

Als ihr gewahr wird, dass sie sich noch im weltpolitischen Teil der Zeitung befindet, schlägt sie hastig weiter und blättert zum Lokalteil vor. Sie liest einen Artikel über ein geschlossenes Tierheim, welches die Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte und dann stockt sie plötzlich. Dieses Gesicht, das kannte sie doch!

„Mysteriöser Todesfall in Queens – Mann wird von führerlosem Automobil überrollt."
So lautet die Schlagzeile und daneben sieht man das Passfoto des Mannes, mit dem sie noch einen Drink genommen hatte. Aber nicht nur das: sie hatte die verbliebene Nacht mit ihm verbracht, nach dem Tod von Mr. Buchanan. Sie hatte Trost in seinen Armen gesucht und er hatte sie glücklich gemacht. Ja, auch der Name stimmte: Ralf Gehrman hiess er, obwohl er sich bei Cathy nur als Ralf vorgestellt hatte und ihr das auch gereicht hatte. Schliesslich hatte sie nicht vor, ihn zu heiraten.

Was sie dort las, konnte grotesker nicht sein. Ralf war wohl von einem führerlosen Wagen überrollt worden, den sein Besitzer nicht richtig gesichert hatte. Cathy kannte sich nicht mit Automobilen aus, aber sie hatte schon gesehen, dass diese Wagen an Hängen standen, ohne wegzurollen. Anscheinend konnte man die Reifen so blockieren, dass sie nicht wegrollten. Und genau das hatte der Besitzer des Automobiles wohl vergessen und der Wagen war den abschüssigen Hang heruntergerollt und hatte Ralf an einer Wand förmlich zerquetscht. Ihr Blick verschwimmt und sie merkt, dass ihr schwindelig wird. Es ist der Moment, als der Officer wieder sein Büro betritt, zwei Tassen Kaffee in den Händen. Cathy bekommt es kaum mit, sie starrt durch ihn hindurch und sie hat plötzlich das Gefühl, sich übergeben zu müssen.

ASU



Soundtrack für diese Episode: Van & Schenck - After You Get What You Want 


Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.06.2021 11:55.

Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

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Kapitel 1, Episode 6

von Alina am 14.10.2016 14:55

Waldorf-Astoria, Fifth Avenue and 34th Street, New York
20th of April, 1920



Quelle des Bildes


Die Mädchen haben sich noch lange nicht beruhigt, Heidi spricht beruhigend auf sie ein. Cathy sitzt wieder auf ihrem Bett. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Ein Blick auf die Uhr, 2:23 AM. Sie seufzt, steht wieder auf, kleidet sich an und streicht ziellos durch die langen Korridore. Sie braucht vorsorglich eine gute Geschichte, was denn Mr. Buchanan von ihr wollte, als sie bei ihm war. Man wird sich vielleicht doch daran erinnern, dass sie bei ihm war und ausserdem hatte sie am Vormittag sein Zimmer geputzt. Man würde sie wohl auf jeden Fall kurz befragen, ob ihr irgendetwas aufgefallen sei. Aber sie würde diesmal nichts wissen und sie würde ja nicht mal lügen. Gar nichts war ihr aufgefallen, nicht das Mindeste! Sie geht zurück in das Gemeinschaftszimmer, wo die ersten Mädchen schon wieder schlafen und die anderen tuschelnd in der Teeküche nebenan sitzen. Sie nimmt ihre Jacke mit der angebrochenen Schachtel Zigaretten und verlässt dann das Hotel durch den Botenausgang. Keinesfalls will sie am Tatort vorbeigehen. Draussen zündet sie sich eine Zigarette an. Die Schachtel hatte sie vor zwei Tagen bei der Endreinigung eines Zimmers gefunden und der Gast war schon abgereist. Als sie das Streichholz löscht, wundert sie sich, dass ihre Finger leicht zittern und das liegt nicht an der Kälte, die noch nicht durch ihre Kleidung gekrochen ist.

Man kann nicht sagen, dass Hochbetrieb in der Stadt herrscht, aber eine Pause scheint diese Stadt nicht zu machen, von Nachtruhe gar nicht zu reden. Cathy ist es recht. Sie braucht gerade etwas Abstand zum Hotel, aber ganz allein zu sein, das ist auch nicht ihr Ziel. Sie geht langsam, inhaliert tief den Rauch der Zigarette und atmet den fast farblosen Rauch wieder schwermütig und hörbar aus. Sie geht einige Schritte mit geschlossenen Augen und erst dann registriert sie die leise Stimme, die unaufhörlich auf sie einzureden scheint. Es ist so deutlich, dass sie stehenbleibt und sich irrtiert umschaut. Doch da ist niemand. Die Stimme ist aber immer noch da. Sie scheint zu zischen und auf sie einzureden. Plötzlich läuft ihr ein Schauer über den Rücken.

Sie sieht sich verstört um und erblickt etwa zwanzig Yards entfernt eine Bank. Sie läuft förmlich dorthin und setzt sich. Sie nimmt einen weiteren tiefen Zug und lässt die Zigarette dann achtlos auf den Asphalt fallen. Dann schliesst sie die Augen und presst sich die Finger auf die Ohren. Sie schluckt und hält inne, nun hört sie es ganz deutlich. Sie reisst die Augen auf, blickt sich nochmal um, denn es muss doch jemand da sein. Aber wieder ist dort niemand. Sie starrt vor sich auf den Boden und schliesst dann wieder die Augen, hält sich ein weiteres Mal die Ohren zu.

Mit offenem Mund atmet sie schwer, hört weiter den Worten zu, die sich wie der Sprung einer Schellackplatte immer wieder wiederholen. Sie ist sicher, dass sie diese Sprache noch nie in ihrem Leben gehört hat, aber sie klingt an sich nicht gerade freundlich. Die Worte oder besser, die Aussage selbst hingegen scheint etwas Zustimmendes zu haben, vielleicht sogar etwas Lobendes. Sie fühlt, wie bei einer bestimmten Wiederholung der Worte jemand anerkennend über ihre Schulter zu streichen scheint. Und dann ist da noch etwas anderes. Ja, da ist etwas Forderndes. Sie fühlt sich dazu gedrängt, irgendwohin mitzukommen, doch es gibt kein Ziel. Etwas scheint an ihr zu zerren, aber sie weiss nicht, wohin die Reise geht. Diese beiden Aussagen und Gefühle wechseln sich ständig ab – im Takt von zwei Augenblicken, also der Zeit, die die Stimme für einen der beiden Sätze braucht.

Sie nimmt die Hände von den Ohren und schlägt die Augen auf. Ein Mann steht vor ihr und berührt sie sanft am Arm. Als er sieht, dass er ihre Aufmerksamkeit hat, fragt er: „Alles in Ordnung, Miss?" Sie atmet pustend aus und nickt dann, eher weil sie sich peinlich berührt fühlt. Doch als sie nochmals in sich hineinlauscht, ist keine Stimme mehr dort. Ihr Blick ist dementsprechend verwundert und der Mann fragt nochmals: „Sind Sie sich sicher, Miss? Ist wirklich alles okay?"
„Ja, ich... ich bin nur ein bisschen...", stottert sie und sie merkt, wie verwirrt sie gerade wirken muss. Sie lächelt den Mann etwas gequält an und sagt: „Ich arbeite da drüben, im Hotel. Es gab gerade einen Selbstmord... auf der Strasse, wissen Sie?" Sie zeigt mit dem Finger in die Richtung des Waldorf-Astoria.
Der Blick des Mannes wird verständnisvoll. „Ich verstehe. Das tut mir leid. Brauchen Sie irgendetwas? Ein Wasser oder...", er macht eine kleine Pause „...vielleicht einen Drink?"

Cathy lächelt wieder, diesmal ist es ein echtes Lächeln und ihre Wangen zeigen die kleinen Grübchen. Sie überlegt kurz und nickt dann.
„Das ist eine gute Idee. Ja, warum nicht? Ich kann sowieso jetzt nicht schlafen." Als der Mann ihr eine Hand reicht, legt sie ihre hinein und steht auf.
„Wie heissen Sie denn?", fragt sie und er erwidert: „Mein Name ist Ralf. Und wie ist Ihr werter Name, Miss?" – „Catherine, aber alle nennen mich Cathy. Angenehm." Sie lächeln sich an und überqueren die dann Strasse, noch lange bevor das nahende Automobil da ist und einen Anlass hätte zu hupen.



Soundtrack für diese Episode: John Steel - The Girls Of My Dreams


Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.06.2021 11:55.

Alina

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Kapitel 1, Episode 5

von Alina am 13.10.2016 20:40

Waldorf-Astoria, Fifth Avenue and 34th Street, New York
20th of April, 1920



Quelle des Bildes


Cathy wird wach, als sie das Geheul von Polizeisirenen hört. Als sie sich im Bett aufrichtet, steht bereits ein halbes Dutzend Mädchen an dem riesigen Fenster und sie schnattern aufgeregt durcheinander. Cathy reibt sich die Augen und springt aus dem Bett, eilt dann ans Fenster. Wortfetzen drängen an ihr Ohr: „Selbstmord...", „er ist wohl vom Balkon gesprungen" und anderes. Sie kommt gar nicht bis an die Scheibe und fragt in das Gespräch zweier Mädchen hinein, was denn passiert sei. Genau weiss es niemand. Alle drängen sich nur an das Fenster und die vorderen Mädchen drücken sich die Nasen an den Scheiben platt.

Dann geht die Tür auf und Heidi kommt hinein. Heidi war auch Deutsche, aber sie war wohl selbst vor einigen Jahren ausgewandert. Sie mochte die Vierzig schon überschritten haben und war so etwas wie das inoffizielle Sprachrohr der Mädchen. Ausserdem tat man üblicherweise das was Heidi sagte, ohne allzulange zu überlegen. Aber sie war weder autoritär noch unfair, warum sie auch sehr beliebt bei den Mädchen war.

Heidi war wohl stellvertretend nach unten gegangen, als die Mädchen wissen wollten, was passiert war und hatte sich vor Ort informiert, damit der Tatort dort unten nicht von schnatternden und frierenden Mädchen überrannt wurde. Alle schweigen auch, als Heidi ansetzt und sagt: „Tatsächlich ein Selbstmord und zwar einer von unseren Gästen." Sie schweigt und schaut in die Runde. Einige Mädchen haben die Hand vor den Mund gepresst.
„Es war Mr. Buchanan, einige von euch kennen ihn bestimmt. Der grosse, dunkelblonde Mann aus Tennessee. Viel ist nicht von ihm übrig, aber man konnte ihn wohl bereits identifizieren." Einige Mädchen seufzen oder geben überraschte Laute von sich. Auch Cathy schlägt nun die Hand vor den Mund. Mr. Buchanan... Bill ist aus dem Fenster gesprungen? Das ergab keinen Sinn. Der Whiskey konnte unmöglich daran schuld sein; sie wusste dass er oft und gern trank. Immerhin war er nicht zum ersten Mal im Waldorf-Astoria. Er war sicher vom Balkon gestürzt. Er hatte noch eine Zigarette rauchen wollen und der Alkohol hatte ihm die Sinne vernebelt und er war über das Geländer gestürzt. Genauso muss es gewesen sein.

Ihr war gar nicht wohl dabei wenn sie daran dachte, dass sie vor einigen Stunden noch mit Bill geschlafen hatte. Plötzlich wird ihr heiss und kalt und Mr. Richards kommt ihr in den Sinn. Genauso hatte sie sich in Baltimore auch gefühlt, als sie vom Tod des Hausherrn erfuhr. Würde nun wieder alles von vorn beginnen? Die dauernden Fragen, dieses Gefühl wie eine Verbrecherin verhört zu werden, die schlaflosen Nächte? Keinesfalls würde sie das nochmal mitmachen, es gab auch keinen Grund dazu. Sie hatte ganz sicher nichts damit zu tun, sie war nicht mal im Zimmer gewesen. Cathy denkt nach und ihr fällt ein, dass ein anderes Mädchen sogar noch nach ihr bei Mr. Buchanan im Zimmer war. In ihrer Haut wollte sie jetzt nicht stecken, sie würde lange Stunden auf dem Polizeirevier verbringen müssen. Cathy bedauerte sie zwar, war aber froh, nicht an ihrer Stelle sein zu müssen. Sie atmet erleichtert durch, dreht sich herum und geht an den Wasserhahn, um zu trinken.

 

Soundtrack für diese Episode: Marion Harris - Grieving For You

 


Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.06.2021 11:52.

Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

Beiträge: 180

Kapitel 1, Episode 4

von Alina am 13.10.2016 20:21

Waldorf-Astoria, Fifth Avenue and 34th Street, New York
19th of April, 1920



Quelles des Bildes (bearbeitet von Alina)

Als Cathy das Zimmer 216 verlässt, lehnt sie sich kurz mit dem Rücken an die Tür und atmet pustend aus. Sie streicht ihr Kleid glatt und fährt sich durch ihr Haar, bringt es in Ordnung. Sie hätte es schon im Zimmer tun sollen, da gab es wenigstens einen Spiegel, aber die Zeit drängte. Sie war sicherlich eine halbe Stunde in Buchanans Zimmer gewesen, wenn nicht sogar länger. Sie eilt den Flur herunter und entscheidet sich eine Toilette aufzusuchen, bevor sie wieder zur Rezeption zurückkehren würde. Natürlich war es jetzt wieder ihre Aufgabe, sich eine Geschichte auszudenken, das war wieder typisch. Die Männer hatten all den Spass und sie, ja sie musste sich jetzt eine Ausrede ausdenken. Sie stürmt in eine Gästetoilette und begutachtet sich und nochmal die Kleidung, alles scheint gut zu sitzen. Bill, wie sie ihn nun nennen durfte, hatte sie gar nicht ganz entkleiden müssen und das war auch in ihrem Sinne. Sie streicht hier ein paar Haare aus dem Gesicht und ordnet da eine der schwer zu bändigenden Locken. Ja, so wird es gehen. Sie wird sagen, dass ihr etwas schlecht geworden ist und sie sich mal für ein paar Minuten hinlegen musste. Sie hatte ein Glas Wasser getrunken und nun war es schon wieder viel besser. Würde man ihr eine solche Geschichte nicht abnehmen wollen und es käme sogar zum Eklat, so würde sie halt die Wahrheit sagen müssen, wenigstens Mr. Boomer. Sie würde ihm sagen, was vorgefallen wäre und er würde wohl lächeln und ihr sagen, dass sie bestimmt dafür gesorgt hätte, dass das Waldorf-Astoria Mr. Buchanan noch lange als dauerhaften Stammgast willkommen heissen könnte. Sie würde verlegen lächeln und nicken und dann würde Boomer sie wieder an die Arbeit schicken.

Nochmal atmet sie pustend aus, als die Arbeit vor dem Spiegel getan ist. Wenn man es genau nähme, so hatte sie auch ihren Spass gehabt. Dabei hatte sie ihn vorher nochmal ganz ausdrücklich gewarnt. Man würde sie vermissen und es wäre auch generell auch nicht so gedacht, dass die Zimmermädchen mit den Gästen verkehren würden. Bill hatte nichts darauf geantwortet und sie zu sich gezogen. Sie hatte sich nicht gewehrt.

Natürlich war Bill schon angetrunken, aber genau deshalb hatte er auch keine Vorsicht walten lassen. Nachdem er von ihrer Haut gekostet und ihr sogar einen Kuss geraubt hatte, hatte er sie aufs Bett geworfen, dieser Unhold aus Tennessee. Und er hatte sie hart genommen – so hart, dass sie selbst ein tiefes Prickeln in sich spürte, von dem sie immer noch mehr wollte. Sie hatte sein Hemd zerrissen am Rücken und sicher trug er auch Spuren ihrer Nägel auf seiner Haut. Sie blickt ein letztes Mal prüfend in den Spiegel und lächelt etwas dümmlich, so wie man nur lächelt, wenn man gerade Sex hatte und diesen auch genossen hatte.

Sie wäscht sich noch gründlich die Finger, als sie an Bill und seinen Rücken denkt. Dort ist tatsächlich etwas Blut unter einigen Nägeln. Bill würde lange an diesen Abend zurückdenken, selbst wenn er schon längst wieder in seinem Hinterwäldlerkaff war. Sie hatte noch nie ein hübsches Mädchen aus Tennessee gesehen, alle sahen aus wie die Tiere, die sie anscheinend den ganzen Tag hüteten. Kein Wunder, dass Bill sich nach Abwechslung sehnt, denkt sie.

Dann eilt sie wieder herunter zur Rezeption. Dort steht niemand, weder hinter der langen Theke, noch auf ihrem Platz. Das ist ihr ganz recht und sie nimmt ihren Platz ein. Mittlerweile ist es so spät, dass sie sich sicher bald hinlegen kann. Manchmal kommt es vor, dass ein Mädchen geweckt werden muss, wenn ganz spät nachts etwas zu tun ist, aber dafür lässt man sie dann morgens etwas länger schlafen.

Es vergeht sicher eine gute Stunde und es geht bereits auf Mitternacht zu. Cathy freut sich bereits auf den wohlverdienten Schlaf, als sie mitbekommt, dass Bill, also Mr. Buchanan wie sie ihn jetzt wieder im Gedächtnis behalten sollte, nach einer weiteren Flasche Whiskey verlangt. Anscheinend ist die Party für ihn noch lange nicht zu Ende. Cathy lächelt in sich hinein und sie ist froh, dass ein anderes Mädchen diesen Auftrag verrichtet. Als das Mädchen aus ihrem Blickfeld verschwunden ist, nickt Mr. Boomer Cathy zu. Sie versteht den Blick: „Leg dich schlafen, es ist genug." Sie nickt ihm ebenfalls zu und macht sich dann endlich auf den Weg, hoch in den Schlafsaal der Mädchen, die kein eigenes Zimmer bekommen haben, aber trotzdem im Hotel schlafen. Und währenddessen überlegt sie, wann dieser Mr. Boomer eigentlich schläft. Eigentlich ist er immer irgendwo, wo man ihn braucht.



Soundtrack für diese Episode: Eddie Cantor - All The Boys Love Mary





Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.06.2021 11:49.

Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

Beiträge: 180

Kapitel 1, Episode 3

von Alina am 12.10.2016 21:05

Waldorf-Astoria, Fifth Avenue and 34th Street, New York
19th of April, 1920


waldorf-astoria-guest-room-old.png
Quelle des Bildes (bearbeitet von Alina)  

Cathy arbeitet bereits wieder seit einigen Stunden, es ist früher Abend. Der Tag war heute etwas ruhiger. Morgens hatte sie einige Zimmer geputzt, am Nachmittag hatte sie in der Küche geholfen und einen Botengang erledigt. Jetzt würde sie noch etwas Wäsche machen und sich danach um die Wünsche der Gäste kümmern, beispielsweise wenn sie etwas auf dem Zimmer essen wollen oder eine besondere Flasche Champagner bestellen. In der kurzen Zeit, in der Cathy im Waldorf-Astoria arbeitete, hatte sie schon allerhand seltsame Wünsche erfüllt. Sie zeigte den leichten Mädchen die Zimmer, auf welche sie bestellt wurden, sie holte dicke, kubanische Cigarren aus dem Tabakladen an der 36th und sogar Verhütungsmittel musste sie des Nachts besorgen. Dafür gab es glücklicherweise einen nahen Apotheker, der die Bedürfnisse der Hotelgäste kannte und den man nachts wecken konnte, allerdings gegen ein recht hohes Entgelt. Einmal war sie sogar mit einem Vorwand gerufen worden und man bat sie, bei einem Strassenverkäufer, der ihr beschrieben wurde, ein Beutelchen mit weißem Pulver zu kaufen. Erst im nachhinein hatte sie sich für ihre Naivität verflucht, denn es war sicherlich Rauschgift, welches sie dort für einen hohen Preis gekauft hatte. So etwas würde sie nicht wieder tun, zumindest würde sie Mr. Boomer informieren und ihn fragen.

Cathy gehörte zu den Mädchen, die oft tagelange Schichten arbeiteten, weil es zu Hause sowieso nichts gab, das auf sie wartete. Eine trostlose, kleine Absteige in Brooklyn, kalt und dunkel, in einer Gegend in der man auch schon tagsüber nicht gerne unterwegs war. Da war es besser, in Manhattan zu arbeiten und ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie würde sogar hierherziehen wollen, aber alle Zimmerwohnungen waren bereits belegt und Cathy stand auf der Warteliste nicht gerade oben.

Die Wäsche dauerte etwas länger als geplant, aber es gab keinen Grund zur Eile. Cathy sitzt im Pausenraum und kaut an einer Möhre und schaut aus dem ebenerdigen Fenster, durch das sie nur die Füsse der vorbeieilenden Passanten sehen kann. Die letzten Zuckungen des Feierabendverkehrs wälzen durch die Strassen. Sie beisst wieder ab, es knackt laut. Als sie fertig ist, kehrt sie zu ihrer eigentlichen Basis zurück, wo laut Mr. Boomer immer ein Mädchen stehen soll, nahe der langen Theke der Rezeption. Gerade steht niemand da und so nimmt Cathy diesen Platz ein. Dort darf man sich nicht setzen, sondern man muss stehen, lächeln und hübsch aussehen. Cathy kann das gut und dies ist ihrer Meinung nach auch keine verschwendete Zeit. Denn wer weiss, vielleicht betritt eines Tages ein schneidiger, junger und vielleicht sogar wohlhabender Mann das Hotel, verliebt sich Hals über Kopf in sie und schon ein Jahr später wohnt sie in Arizona auf einer riesigen Ranch oder noch besser, in Kalifornien. Sie seufzt und lächelt. So kann man sich die Zeit gut vertreiben, mit Tagträumen.

Sie erledigt einige langweilige Botengänge und Besorgungen für Gäste bis zum späten Abend. Dann wird sie zum Zimmer 216 bestellt und zwar ohne Angaben von Gründen. Das ist vielleicht ungewöhnlich, aber es passiert nicht so selten, wie man annehmen möchte. Manchmal ist es den Gästen peinlich, am Haustelefon ihren Wunsch explizit zu äussern.

Als Cathy das Zimmer betritt, nachdem Mr. Buchanan sie mit einem lauten „Herein!" hineingebeten hatte, kann sie schon an seinem Blick erkennen, wo der Schuh drückt. Aber sie lässt sich nichts anmerken.
„Ah, Cathy. Schön, dass Sie schon da sind." Mr. Buchanan räuspert sich und fährt fort. „Setzen Sie sich doch, nur einen Augenblick."
Cathy sieht den Mann etwas prüfend an, zuckt dann kurz mit den Schultern und setzt sich auf einen der mit edlem Stoff bezogenen Stühle. Mr. Buchanan hatte getrunken, jedenfalls ein bisschen. Cathy kann es nicht nur sehen, sondern auch riechen, ihre Nase ist mehr als gut in diesen Dingen. Im Hintergrund läuft leise Musik, er hatte eine Platte aufgelegt und das Grammophon quäkt leise vor sich hin.
„Kann ich dir denn... kann ich Ihnen denn etwas zu trinken anbieten, liebe Cathy?" Seine Stimme war kurz davor, eine lallende Färbung zu bekommen, aber noch hatte er sich ganz gut im Griff. Lediglich seine Wortwahl zeugte davon, dass er in Gedanken mit Cathy bereits sehr viel vertrauter war, als in der Realität. Cathy lächelt und schüttelt mit einem bedauernden Lächeln den Kopf.
„Nein, Mr. Buchanan. Sie wissen doch, dass ich noch arbeiten muss." Cathys Blick ist offen, es war keine Lüge.
„So spät noch? Warum muss ein junges Ding so spät noch arbeiten?" Die Frage war wohl rein rhetorischer Natur. „Wann haben Sie denn Feierabend, liebe Cathy?"
Cathy überlegt gerade, was sie antworten soll, als Mr. Buchanan plötzlich sagt: „Stehen Sie mal auf, Cathy. Und dann drehen sie sich einmal."
Cathy sieht den Mann mit dem Glas in der Hand erst etwas verblüfft an, doch dann tut sie es. Sie steht auf und dreht sich einmal langsam. Buchanan hat ein zufriedenes Grinsen im Gesicht und sagt daraufhin, als sich Cathy im wieder zuwendet: „Weisst du, du bist ein sehr hübsches Mädchen, Cathy." Dann klopft er auf seinen Oberschenkel, als würde er Cathy herbeirufen wollen, sie einladen wollen, dort Platz zu nehmen.
„Finden Sie, dass das so eine gute Idee ist, Mr. Buchan..." Sie wird unterbrochen. „Nenn mich Bill. Einfach Bill, ja? Tust du mir den Gefallen?" Cathy nickt und kommt langsam näher. Sie versteht es, ihren Gang lasziv aussehen zu lassen und bleibt kurz vor Mr. Buchanan stehen und blickt von oben auf ihn herab – eine Geste, die ihm in diesem Moment einfach gefallen muss. Ihr Blick fällt kurz auf den ihr angebotenen Platz, dann lächelt sie, aber ihre Grübchen sieht er dabei nicht. Sie beugt sich vor, bis sich ihr Kopf nur noch ein Stückchen über dem ihres Gegenübers befindet. Sie schaut ihn an und Buchanan fällt es schwer, Augenkontakt herzustellen, denn Cathys helles Dekollete strahlt ihn nahezu an. Cathy sieht es und kann ein verschmitztes Grinsen nicht unterdrücken. Sie spürt komischerweise keine Unsicherheit, was ihre Reize angeht. Sicher, sie konnte es nicht einschätzen, inwiefern es wirklich eine gute Idee ist, sich mit einem Gast einzulassen und dann war da noch diese Geschichte mit Mr. Richards...

Sie schiebt diesen Gedanken allerdings wieder schnell zur Seite. Auch jedes respektlose Abblocken seiner Annäherungsversuche ist Cathy absolut fremd, aber sie hatte in Baltimore doch immerhin gelernt, dass sie ein Mitspracherecht besass, was passieren würde und vor allem, wann es passieren würde. Daran denkt sie jetzt, als sie in die leicht blutunterlaufenen Augen des Mannes unter ihr blickt. Sie nähert sich ihm so, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berühren und dann flüstert sie: „Ich bin sicher, dass Sie nur ein Glas zuviel getrunken haben... Bill." Seinen Namen betont sie deutlich, besonders das lange 'L' lässt sie lange nachklingen, sodass er für einen Augenblick ihre Zunge sehen kann. Ihr Blick flackert, irrt zwischen seinen beiden Augen hin und her. Dann richtet sie sich wieder auf und macht einen halben Schritt zurück. Buchanan starrt sie nur an, trinkt dann sein Glas mit einem Zug leer.

So mutig wie er eben auch war, so unsicher scheint er sich jetzt zu sein, mit wem er es zu tun hat. Sein Blick verrät vieles. Cathy scheint ebenfalls jung zu sein, aber nicht so unsicher wie dieses schwarze Hausmädchen, daheim in Tennessee, die gar nicht sprach, wenn er anzüglich wurde und die nicht mal stöhnte, sondern nur leise keuchte, wenn er sie in einer dunklen Ecke der Scheune nahm. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Erst als Cathy sich herumdreht und bereits wieder die Tür öffnet, realisiert er, dass er zuviel Zeit hat verstreichen lassen. Er steht mit einem Ruck auf, sodass der Stuhl hinter ihm wackelt. Cathy bleibt nochmal im Türrahmen stehen und lächelt ihn fragend an...


Soundtrack für diese Episode: Nora Bayes - Freckles



Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.06.2021 11:48.

Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

Beiträge: 180

Kapitel 1, Episode 2

von Alina am 12.10.2016 20:55

Waldorf-Astoria, Fifth Avenue and 34th Street, New York
19th of April, 1920



Quelle des Bildes


Cathy eilt über die Strasse und erschreckt sich, als ein Automobil hupt. Daran muss sie sich erst gewöhnen, denn hier in New York gibt es so viel mehr Automobile als in Baltimore! Sie betritt eine Bäckerei, kauft ein Brot und ein Stück Kuchen und spaziert dann Richtung Bryant Park. Sie muss bis herunter zur 40th Street laufen, aber es lohnt sich nicht für diese Pause in ihre kleine Wohnung zu fahren. Es hat sich bewährt, die zwei Stunden im Park zu verbringen, bevor sie weiterarbeiten muss. Ihre wachen und aufmerksamen Augen schauen immer wieder in die zahllosen Gesichter, die ihr entgegenkommen, doch fast nie ist jemand dabei, den sie vorher einmal gesehen hat. Das war in Baltimore noch anders.

Ja, Baltimore! Sie atmet tief aus, als sie an ihre Heimatstadt denkt, aber es ist kein Heimweh und erst recht kein Bedauern. Sie betritt den Park, geht an dem Enten- und Schwanenteich vorbei und setzt sich auf ihre Lieblingsbank, die erfreulicherweise frei ist. Baltimore, ja Baltimore. Dahin würde sie so schnell nicht zurückgehen, sie wäre schön dumm, wenn sie das täte. Was für ein Drama war es zuletzt gewesen. Ihre Eltern, die Nachbarn, die Familie Richards und sogar die Polizei. Sie war irgendwann Hals über Kopf zum Bahnhof gelaufen und war einfach davongefahren. Man würde wohl nicht nach ihr fahnden, dafür gab es keinen Grund. Aber sie hatte sich nicht zur Verfügung der Polizei gehalten, wie man es ihr angeraten hatte. Dabei hatte sie ihre dummen Fragen schon tausendmal beantwortet, immer wieder. Aber genauso wie ihre Eltern und die Nachbarn hörten sie einfach nicht mit dieser ewigen Fragerei auf.

Es entsprach der Wahrheit, dass sie die letzte Person gewesen war, die den Hausherrn, Mr. Richards zuletzt am Abend noch lebendig gesehen hatte. Das hatte sie auch zu Protokoll gegeben, obwohl sie es jetzt bereute. Damit hatte die ganze Fragerei nämlich erst angefangen. Ob ihr irgendetwas aufgefallen wäre; ob sie sich an irgendetwas erinnern könnte; ob Mr. Richards noch irgendetwas gesagt hätte; ob sie irgendjemanden gesehen hätte, der noch im Haus war oder zu Besuch kam, vielleicht sogar eine Frau. Fragen über Fragen. Cathy hatte schnell begriffen, dass sie schon viel zu viel erzählt hatte. Sie hatte nicht erzählt, dass Mr. Richards, der ehrenwerte Mr. Richards ihr wieder mal auf den Po geklopft hatte. Sie hatte verschwiegen, dass sie diesen Klaps zwar mit einem Grinsen, aber auch der üblichen Warnung kommentiert hatte. Auf den Mund gefallen war sie nicht, auch wenn sie immer Respekt vor Mr. Richards gehabt hatte und auch noch jetzt hat – auch wenn er jetzt tot war, warum auch immer.

Er hatte wohl kurz vorher mit einer Frau verkehrt, bevor er dann nach Angaben des Gerichtsmediziners einen Herzstillstand erlitten hatte. Das war keine Neuigkeit für Cathy, denn sie wusste genau, mit wem Mr. Richards zuletzt verkehrt hatte. Aber das würde sie der Polizei nicht erzählen und erst recht niemals ihren Eltern. Sie würden sie für eine Dirne halten, besonders ihre Mutter würde das tun. Dabei hatte sie sich eigentlich nichts vorzuwerfen. Sie war den Anzüglichkeiten von Mr. Richards lange genug ausgesetzt gewesen, hatte ihn vertröstet, war ihm aus dem Weg gegangen und hatte die Klapse auf den Po stillschweigend hingenommen und es nie an Höflichkeit und Verschwiegenheit fehlen lassen. Nur an diesem einen Tag, da war sie ihm gefolgt und hatte sich nicht verlegen und mit roten Wangen aus seinem Griff gewandt. Sie war ihm in sein Schlafzimmer gefolgt und hatte es selbst dann nicht versäumt, eine letzte Warnung auszusprechen, dass dies sicher keine gute Idee sei. Doch das sah Mr. Richards anders. Er hatte sie genommen, als wäre es eine längst überfällige Selbstverständlichkeit. Und er war grosszügig gewesen, als er ihr danach zehn Dollar zusteckte und schmunzelnd meinte, sie solle sich ein schönes Kleid davon kaufen.

Sie hatte der Polizei nicht mehr erzählt, weil die Männer sie während der Befragung immer mehr bedrängten und weil sie befürchtete, die zehn Dollar wieder herausgeben zu müssen, wenn sie die Wahrheit sagen würde. Und was würden ihre Eltern sagen, wenn die Polizei diese Aussage weiterverfolgen würde und hinterher noch alles herauskam? Oder noch schlimmer, dass man sie am Ende sogar noch verdächtigen würde! Ihr reichte es zu wissen, dass sie nichts mit dem Tod von Mr. Richards zu tun hatte. Und wenn der alte Knacker wirklich wegen ihr einen Herzstillstand erlitten hatte, so war es doch sicher ein schöner Tod gewesen. Sie muss trotz des ernstes Themas kurz lächeln, wenn sie an Mrs. Richards, seine Gattin, denkt. Sie sah aus wie ein Rottweiler. Es war kein Wunder, dass er Cathy nachgestellt hatte. Sie wusste sehr genau, dass es ein tiefer Wunsch von ihm gewesen war, mit ihr zu schlafen und diesen Wunsch hatte er sich immerhin noch erfüllt, bevor der Sensenmann... bevor der Herr ihn zu sich gerufen hatte.

Sie schaut auf eine Ente, die gerade nahe ihrer Bank über den Weg watschelt und pustet eine rote Locke aus dem Sichtfeld. Sie seufzt und lehnt sich zurück. Sie hat plötzlich keinen Hunger mehr und nimmt sich vor, das Stück Kuchen für später aufzuheben, für ihren Feierabend. Man wird sie hier nicht finden, in diesem Moloch, der nur aus den Reichen, Schönen und Abenteuerlustigen wie ihr zu bestehen scheint. Sie kann die Wolkenkratzer sogar über den Baumwipfeln emporragen sehen. Nein, man wird sie hier nicht finden und man wird auch sicher gar nicht nach ihr suchen, aber sie kann auch nicht mehr nach Hause. Dieses Wissen lastet in diesem Moment etwas schwer auf ihrer Stimmung. Sie zieht eine Schnute und steht dann auf, bricht ein Stückchen vom frischen Brot ab und wirft es in kleinen Krummen in Richtung der Ente, die sich sogleich darauf stürzt. Cathy betrachtet es mit einem Lächeln, lässt den Kopf in den Nacken fallen und fängt einige Sonnenstrahlen mit ihrer Nase.


Soundtrack für diese Episode:  Charles Harrison - I'll Be With You In Apple Blossom Time



Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.06.2021 11:45.
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