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Kapitel 8, Episode 4
von Alina am 28.11.2021 16:41Lyon, L'Antiquaire Bar
Octobre 1968 au début du mois
Hill sitzt in einer kleinen Bar und nippt an seinem Whiskey. Keine Bar und kein Whiskey schafften es ihm das Gefühl zu vermitteln, er würde irgendwo in Winchester oder Washington in einer Bar sitzen und sich einen Whiskey gönnen. Der Whiskey ist nicht schlecht, immerhin ein irischer Single-Malt aber er bevorzugt Bourbon. Leider gab es hier nur die schlechtesten und billigsten amerikanischen Sorten und die benutzten junge Menschen ausschliesslich um sich schnell zu besaufen.
Er knackt mit den Fingern und denkt nach. Donahan war noch immer an dem Fall interessiert. Daran hatte sich nichts geändert. Er hatte wohl den Traum aufgegeben den Pulitzer-Preis zu gewinnen – zumindest wenn es um die Geschichte der Cathy Hasselmann ging. Aber er sammelte weiter Indizien und stand weiterhin mit dieser ominösen Stiftung in Kontakt. Seinen Kontaktmann wollte er nie verraten; es waren wechselnde Anwälte in all den Jahren gewesen, soviel hatte er immerhin preisgegeben.
Donahan hatte jedoch den Eifer verloren jeden Schnipsel selbst zu sammeln. Er konzentrierte sich auf die Kerndaten des Falles, längst gab es nur noch eine grosse Sammlung in privatem Besitz und die hatte Evans' Agentur besessen. Desweiteren besass auch das FBI einige Akten und natürlich Interpol. Allerdings hatte man alle Akten zu Hill nach Europa verschickt, Washington wurde nur noch unregelmäßig von Hill informiert und das lag eher daran dass Hill ab und zu noch gern mit einem früheren Kollegen telefonierte, wenigstens einmal im Jahr, oft zu Weihnachten.
Niemand aus Washington fragte je nach dem Fall. Es war als wäre man froh, dass der Sturm und auch alle Akten nach Europa gezogen waren.
Man wusste dass sich die Hauptverdächtige in Europa aufhielt, vielleicht sogar in Paris. Hills Herz schlug deshalb nicht schneller – es war egal ob diese Cathy sich in Paris oder in Nowosibirsk aufhielt. Auch wenn er nach Paris fahren würde: solange er keinen direkten Hinweis oder eine Adresse hatte war sie für ihn unerreichbar. Es lebten 2,5 Millionen Menschen in dieser Stadt. Auf einen Zufall brauchte er nicht hoffen, eher würde ihn ein Blitz treffen.
Sein Verstand arbeitete so nüchtern wie sein Äusseres wirkte. Und auch einige kleine Gläser Whiskey würden daran nichts ändern. Er neigte nicht zu Gefühlsausbrüchen oder Sentimentalitäten. Diese Cathy war vielleicht die grösste Serienmörderin der Weltgeschichte. Es ging um etwa 1.500 Todesfälle, vielleicht mehr. Es lagen relativ gesicherte Informationen über die Todesursache von ungefähr der Hälfte der Toten vor. Ganz oft handelte es sich um offensichtliche Unfälle. Es war die schiere Masse die nach einer Erklärung verlangte, denn wirklich niemand glaubte an übersinnliche Phänomene.
Dies machte den Fall einerseits attraktiv, andererseits gab es kaum einen Menschen oder Polizeibeamten der wirklich an einen Zusammenhang zwischen all den Fällen glaubte. Oder daran dass ein One-Night-Stand mit einem hübschen Mädchen dafür sorgte dass jemand am nächsten Tage von einem Auto überfahren wurde.
Den ersten Toten gab es 1919, die letzten bekannten Fälle stammten sogar aus Frankreich. Seit 1964 starben immer wieder Männer in Brest und zwar vor allem Männer im mittleren Alter und dafür gehäuft. Die Todesursachen waren wie so oft leider vielfältiger Natur und nur in zwei Fällen konnte man einen Mord vermuten.
Längst verfolgte man keine einzelnen Spuren mehr, sondern FBI und Interpol waren in den 1950er Jahren dazu übergegangen gezielt die Todesfälle in Gemeinden oder Bezirken zu untersuchen. Dies war eine ganz ungeheure Sisyphusarbeit, aber so blieb man dieser geheimnisvollen und so gefährlichen Frau auf der Spur. Seit dieser Zeit fand man ihren letzten Aufenthaltsort oft recht früh per Statistik heraus – noch bevor man einen echten Tipp bekam, beispielsweise bei der Befragung eines Barmannes weil der Tote zuletzt noch in einer Bar gesehen worden war und dieser Barmann aussagte dass das Opfer mit einer sehr hübschen, jungen Rothaarigen den Abend verbracht und anschliessend mit ihr die Bar verlassen hatte.
Es war nun die Auswertung dieser Metadaten, wenn man sie so nennen wollte, die Hills Arbeit bestimmte. Und auch Evans hatte sich darauf spezialisiert. Diese unfassbar vielen Zeitungsschnipsel zeugten ebenfalls von dieser Arbeit.
1.500 Tote. Vielleicht sogar 1.500 Morde. Nur Diktatoren und solche Männer wie Adolf Eichmann, der die Transporte in die Konzentrationslager der Nazis organisiert hatte, waren erfolgreicher gewesen. Aber diese Cathy Hasselmann – sollte sie wirklich real und die Täterin sein – sprengte jeden anderen Rahmen den die Polizei von Serienmördern kannte. Selbst mit dem grössten kriminellen Potential, selbst mit dem grössten Ehrgeiz konnte niemand diese Zahlen erreichen, allein schon aus biologischen Gründen. Eine etwa siebzigjährige Frau die noch genauso munter mordete wie mit zwanzig oder dreissig Jahren? Das war sehr, sehr unwahrscheinlich.
Kapitel 8, Episode 3
von Alina am 27.11.2021 16:18Le mercredi 30 octobre 1968
Quelle des Bildes
Monsieur Morel betrachtet Cathy die auf einem Stuhl in seinem Büro sitzt. Er hat die Stirn in tiefe Falten gelegt und fragt zum wiederholten Male
Cathy seufzt und wischt sich über die Stirn:
"Es ist ja gar nicht viel passiert. Diese Halunken hatten keinen Erfolg und ich will nur noch schlafen. Können Sie sich vorstellen wie lange mich die Polizisten verhören werden? Das halte ich nicht durch. Ausserdem wäre es schlecht für das Hotel. Das Hotel hat ja gar nichts damit zu tun, passiert ist ja alles im Park."
Zumindest Cathys letzte Worte scheinen Morel zu überzeugen, er nickt besorgt.
"Gut, gut. Du solltest jetzt schlafen und morgen frage ich dich noch einmal. Ich habe dich ja heute Nacht gesehen und kann deinen körperlichen Zustand bezeugen. Gib die Kleidung auch noch nicht in die Wäsche, vielleicht braucht die Polizei sie noch wegen irgendwelcher Spuren."
Cathy nickt nur müde. "Schon gut, ich... werde es mir noch überlegen, morgen in der Früh. Aber ich denke, eine Anzeige hätte keinen Erfolg. Ich habe die Männer nicht erkennen können, es war viel zu dunkel und es ging viel zu schnell."
Monsieur Morel bringt sie höchstpersönlich in ihre Kammer, hilft ihr sogar beim Entkleiden. Er ist dabei so seriös wie eine Krankenschwester und über jeden moralischen Zweifel erhaben. Wenn ihn Cathys nackte Haut erregt dann kann er das perfekt verbergen. Er legt die Kleidung sorgfältig zusammen und bittet Cathy noch einmal diese für eine eventuelle Untersuchung zurückzuhalten. Cathy will sich noch waschen und Morel verspricht ihr bis morgen neue Kleidung bringen zu lassen. Dann verlässt er die Kammer
Cathy liegt noch wach und erlebt den Sonnenaufgang kurz bevor sie einschläft. Sie hatte es geschafft und konnte bleiben. Wahrscheinlich würde sie sogar ein paar Tage frei haben. Das war nicht schlecht gelaufen.
***
Sie träumt davon in einen Spiegel zu sehen, in einen dieser grossen ovalen Standspiegel. Sie sieht eine alte Frau, mit blasser aber nun welker Haut. Sie hat sich gut gehalten aber tiefe Falten zerfurchen ihr Gesicht und Altersflecken bedecken ihre Haut. Sie sieht etwas lächerlich aus mit ihrem doch sehr aufreizenden Zimmermädchenkleid. In ihrem Traum ist ihr Haar nicht gefärbt, es sieht schlohweiss aus.
Cathy wacht verdattert auf, starrt erstmal einige Minuten an die Decke und blinzelt. Sie vergewissert sich wo sie ist und starrt auf ihren Arm, auf die fahle und makellose Haut neben den Blutergüssen. Der Traum kommt ihr sehr real vor. Sie reibt sich den Schlaf aus den Augen und holt sich ein Glas Wasser bevor sie sich wieder hinlegt. Es war noch nicht einmal Mittag.
Als sie wieder aufwacht ist es früher Nachmittag und sie fühlt sich erholt und ausgeschlafen. Monsieur Morel klopft bereits an ihre Türe, da ist sie noch nicht fertig mit der Morgentoilette. Sie lässt gerade ein Bad ein und redet kurz mit Morel. Dieser besteht jetzt darauf, dass Cathy den Vorfall der Polizei meldet und er lässt sich auch nicht von Cathy überzeugen dies nicht zu tun. Sie tut dies natürlich auch nicht auf eindringliche Art; hinterher würden vielleicht noch Zweifel an ihrer Geschichte laut. Sie willigt also ein und verspricht, sich am Nachmittag unten im Büro von Morel einzufinden, um die Fragen der Polizei zu beantworten. Morel hatte diese sogar schon verständigt. Widerstand wäre also in jedem Fall zwecklos gewesen.
Sie schliesst die Tür und seufzt. Es war trotzdem noch genügend Zeit bis zum frühen Abend. Sie würde hoffentlich Anuschka treffen. Wofür – das wusste sie in diesem Moment noch nicht. Würden sie das Thema vertiefen und sich über die Worte unterhalten? Würde sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin von Professor Gantzburg auf einer persönlichen Ebene dafür interessieren warum sie diese Worte kannte? War Cathy das überhaupt recht? Oder wünschte sie sich ein weiteres Mal eine sexuelle Begegnung mit der jungen Frau? Oder wollte sie gar mehr? Konnte sie sich eine Beziehung zu einer Frau wirklich vorstellen, besonders zu dieser Frau? Sie war ein Küken, verglichen mit Cathy. Sie würden nie ebenbürtig sein. Anuschka war klug aber nur in einer Beziehung. Wenn Cathy alles über die Worte wusste würde Anuschka vielleicht sehr schnell uninteressant für sie werden.
Sie zuckt mit den Schultern und setzt sich seufzend in die Badewanne. Das Wasser umschmeichelt ihre zarte und junge Haut. Sie schliesst die Augen und lässt sich wohlig schnurrend tiefer ins Wasser gleiten, bis das Wasser ihre Brüste mit Schaum bedeckt.
Kapitel 8, Episode 2
von Alina am 26.11.2021 20:27Lyon, Bureau de Interpol
Octobre 1968, au début du mois
Die Kartons mit den Akten sehen gut gepflegt aus; allerdings schien ihnen die Reise nicht gut bekommen zu sein. Die Kanten waren frisch angestossen und die Pappe schien sogar etwas feucht geworden zu sein. Hill nimmt seine Brille ab und sieht den Dienstboten nun genauer an. Der weiss genau warum Hill ihn so ansieht und er hebt nur abwehrend die Hände. Hill seufzt und verscheucht den jungen Mann.
Hill heisst Rolf mit Vornamen, ein Kind deutscher und englischer Einwanderer, die väterlicherseits im 18. und mütterlicherseits im 19. Jahrhundert nach Amerika kamen. Sie waren an der Ostküste geblieben, sein Elternhaus stand in Winchester, Virginia, nahe Washington. Er selbst war gerade 32 Jahre alt geworden; nicht besonders gross, schlank und er hatte rotblondes Haar und einen ebenso rotblonden, kurzgeschnittenen Schnurrbart. Er sah so unscheinbar aus, dass er schon bei in einer Gruppe von drei Personen oft nicht mehr erinnert wurde – aber was konnte einem Polizisten besseres passieren? Er war unverheiratet und wollte das auch bleiben. Trotz der glücklichen Ehe seiner Eltern hatte er vor Karriere zu machen. Er würde entweder eine gute Frau kennenlernen oder eben nicht. Seine Arbeit liess sowieso keine grossen Eskapaden am Wochenende zu und er kannte genügend Kriminalromane mit unglücklichen Ehefrauen, die angsterfüllt zu Hause auf ihren Mann warteten. So etwas brauchte er nicht, sagte er sich in einsamen Momenten.
Er schneidet die Kartons auf und wirft einen Blick hinein. Dann holt er die Akten aus den Kartons, es waren insgesamt 6 Kartons und in jedem befanden sich etwa fünf bis sechs Aktenordner. Er prüft alle Ordner, sie sehen gut aus und die Dokumente scheinen unbeschädigt zu sein.
In fünf Kartons fördert er so 28 Aktenordner zutage die fast ausschliesslich Zeitungsausschnitte beinhalten und im letzten Karton findet er eine Materialsammlung, die hoffentlich aussagekräftiger war als die ganzen Zeitungsauschnitte. Aber Hill ist sicher, dass alles wichtig sein würde, früher oder später.
Hill arbeitete seit einem Jahr bei Interpol in Lyon. Hier stand das Hauptquartier der einzigen weltumspannenden Polizeibehörde. Er war nicht begeistert davon gewesen zu den "Froschköppen" zu gehen und sogar nach Frankreich ziehen zu müssen. Aber das war der Preis gewesen, er war vom National Central Bureau in Washington aus hierher geschickt worden. Grund dafür war einerseits eine Beförderung; er hatte dort sehr gute Arbeit geleistet, insbesondere hatte er sich durch Diplomatie zwischen dem FBI und dem NCB in Washington einen Namen gemacht. Das hatte nicht allen Kollegen gefallen aber der Erfolg hatte ihm Recht gegeben. Zwei international gesuchte Betrüger waren durch diese gelungenen Kooperationen identifiziert und festgenommen worden.
Dies war aber nicht der einzige Grund gewesen. Hill war mit einem Fall betraut worden für den wohl ein Höchstmaß an Kooperation zwischen verschiedenen Behörden notwendig war. Intern sprach man nur von der "Operation May" die allerdings nicht so hiess weil sie irgendetwas mit dem Monat Mai zu tun hatte, sondern für "Jugend" stand. Ein Fall, in dem seit mehr als 40 Jahren eine Frau die Hauptrolle spielte die nicht zu altern schien.
Hill war kein abergläubischer Mensch. Fast niemand bei Interpol hatte einen Sinn für solche Dinge. Hier ging es um Fakten. Aber genau diese Fakten sammelte er seit einigen Jahren – er hatte sich sogar zum hauptamtlichen Sachbearbeiter dieses Falles durchgedrängelt.
Die Gründe dafür wiederum waren ebenso vielseitig. Einerseits sollte diese Cathy Hasselmann aus Baltimore stammen – einer Stadt die er sehr gut kannte, lag sie doch nur knapp hundert Meilen von Winchester entfernt. Es wohnten Verwandte von ihm in Baltimore. Dazu kam dass ihn dieser Fall wirklich interessierte und zwar gerade wegen seiner unglaubwürdigen Anteile. Andere Mitarbeiter rümpften die Nase wenn es um diese Frau ging, die anscheinend eine immerwährende Jugend genoss. Wie arbeitete man an einem Fall wo es anscheinend nicht mit rechten Dingen zuging, vielleicht sogar mit unnatürlichen Phänomenen für die man aber keinerlei Werkzeuge besass? Hill reizte das und er wusste dass er den Schlüssel zu diesem Geheimnis finden konnte und eine Erklärung finden würde. Für jeden Polizisten gab es diesen einen Fall der ihn faszinierte und diese Faszination war sogar ein besserer Schlüssel zum Erfolg als Erfahrung oder Können. Was nutzten Erfahrung und Können wenn dem Beamten der Fall an sich völlig egal war?
Und das war schliesslich das Ziel von Polizeiarbeit: rationale Erklärungen für jedes noch so unverständliche Phänomen zu finden. Hatte man erst ein Motiv und wusste man über alle Fakten Bescheid, dann löste sich jede Verwunderung über die Tat oft in Luft auf und übrig blieb ein sehr profaner und langweiliger Fall. Vielleicht war es eine Sekte, die rothaarige junge Frauen aufnahm – die dann wiederum seit vielen Jahren Menschen ermordeten! Wer wusste das schon?
Wieder blickt er auf die leeren Kartons nachdem er den letzten Karton ausgeräumt und sich über den Inhalt schnell einen Überblick verschafft hatte. Viele Notizen, Karten, eine grosse Karte mit gezeichneten Querverbindungen. Das war sehr gut – genau das hatte er gesucht. Der Inhalt dieser Kartons war Gold wert und er würde Kopien von den wichtigsten Stücken anfertigen lassen müssen. Er tritt an die Tür und ruft nach einem Dienstboten. Die Kartons mussten aus seinem Büro verschwinden.
Absender war übrigens ein gewisser Henry Doyle. Er selbst hatte Doyle einmal getroffen, damals in Pittsburgh. Das war wirklich ganz am Anfang seiner Karriere gewesen und er hatte damals noch einen anderen Kollegen vom NCB begleitet der diesen Fall bearbeitete.
Die Agentur von Robert Evans war Anfang der 1960er Jahre nach Pittsburgh gezogen und er hatte Evans zwei- oder dreimal getroffen und einmal war Doyle dabeigewesen. Die beiden hatten viele Jahre zusammengearbeitet. Nun war Evans tot, er war vor fünf Monaten an einem Herzinfarkt gestorben und Doyle hatte die Agentur aufgelöst. Interpol hatte glücklicherweise grosses Interesse an Evans' Arbeit, nicht zuletzt hatte Hill darauf gedrängt. Sie hatten die Akten angekauft, es steckte zugegebenermaßen eine ganze Menge Arbeit darin.
Er greift den Telefonhörer und während der Dienstbote griesgrämig die Kartons entsorgt, meldet Hill ein transatlantisches Ferngespräch an und verlangt nach einem gewissen Mr. Donahan vom St. Louis Post-Dispatch.
Kapitel 8 - Paris
von Alina am 25.11.2021 21:32Paris Marriott Champs- Élysées Hotel, chambre de Cathy
Le mercredi 30 octobre 1968
Mitten in der Nacht huscht Cathy in ihre Kammer um ihre Sachen zu holen. Und wie sie es bereits vermutet hatte, lag bereits ein Zettelchen in ihrer Kammer. Es kam von Monsieur Morel. Allerdings war es nicht in scharfem Ton geschrieben, sondern er äusserte Befürchtungen dass Cathy etwas passiert sein könnte. Jedenfalls hatte er geschrieben dass er am morgigen Tage die Polizei verständigen wolle.
Cathy denkt nach und dann schleicht sie sich wieder hinaus. Sie kommt ungesehen bis zur Küche, von da aus weiss sie wie sie durch einen Hintereingang das Hotel verlassen kann. Das tut sie und betritt das Aussengelände. Hier war es dunkel und alles war von Mauern oder Gebüschen umgeben, ausserdem schirmten Bäume die Sicht von oben ab.
Sie beschmiert ihre Servicekleidung mit etwas Erde und Dreck. Sie schaut an sich herunter und dann sorgt sie mit einigen gezielten Fausthieben auf ihren eigenen Körper dafür, dass sich blaue Flecke bilden werden. Sie kratzt sich auch leicht die Arme und Oberschenkel auf, reisst ihre Kleidung an einigen Stellen ein, besonders oben und unten am Rock zerrt sie an der Kleidung. Jemand hatte versucht sie zu vergewaltigen, am besten drüben im Park. Cathy hatte einigen Angestellten davon erzählt dass sie gern dorthin ging. In ihrer langen Pause war das passiert und daher war Cathy nicht zurückgekommen um den späten Teil ihrer Schicht anzutreten. So einfach war das.
Sie würde sagen dass der Täter nicht erfolgreich war. Aber sie war beim Davonlaufen gestolpert und so hingefallen dass sie ohnmächtig geworden war. Sie beisst die Zähne zusammen und lässt sich nochmal auf die Erde fallen. Sie schlägt den Kopf leicht gegen die Erde, dort wo eine Baumwurzel verläuft. Es schmerzt ziemlich, direkt an der Schläfe, aber so muss es sein. Sie lächelt zufrieden als sie die Stelle betastet und sie spürt dass die Haut leicht abgeschürft ist und die Stelle bereits dicker wird. Nun ist die Geschichte glaubwürdig.
Gesehen hatte sie niemand, da war sie sich ziemlich sicher. Sie schleicht sich zurück in ihre Kammer. Wenn sie niemand sieht, dann kann sie völlig flexibel die Zeiten gestalten in denen alles passiert war. In einem Moment wie diesem stellte sie sich wiederholt die Frage, warum ihr die Anstellung im Hotel doch so wichtig war. Sie hatte eine Menge Geld angesammelt und es kam nur noch selten vor dass sie ihre Opfer direkt im Hotel kennenlernte. Ihre Bindung an das Hotel musste wohl eher sentimentaler Natur sein. Und vielleicht war es auch bequemer als sich gerade jetzt einen neuen Ort zum Leben suchen zu müssen.
Sie setzt sich erst einmal. Sie würde noch ein wenig warten bis die blauen Flecken richtig reif waren. Sie drückt auch hier und dort nochmal nach. Jemand muss sie sehr bald mit eigenen Augen sehen; vorher kann sie nicht schlafen gehen. Sie starrt ihre Hände an. Vielleicht war es nicht der Tanz, vielleicht waren es nicht die Enten im Park, vielleicht waren es auch nicht die Todesanzeigen, sondern die Hotels die ganz einfach den Mittelpunkt von Cathys Leben darstellten. Im Schutze dieser Arbeit als Zimmermädchen fühlte sie sich sicher; sogar grundlos denn sie hatte bereits mehrere Male flüchten müssen. Aber es fühlte sich anders an, ein wenig wie eine Heimat. Sie wusste was zu tun war. Das hier war das Einzige in ihrem Leben was sie wirklich gut konnte. Oder besser: es war das Einzige was ihr unstetes Leben zuliess.
Sie merkt dass Tränen auf ihre Hände fallen. Kein Grund jetzt sentimental zu werden, denkt sie und zieht die Nase hoch. Jeder Mensch hatte wohl mal solche Momente und seit sie ihre ewige Jugend als Geschenk betrachtete, hatte sie weniger traurige Momente. Natürlich konnte sie auch anders denken: das Glas war halbleer und diese bösen Stimmen verhagelten ihr oft die Laune. Sie war nicht die absolute Herrin in ihrem eigenen Kopf. Aber waren die anderen so viel freier?
Dies war nun doch eine philosophische Frage; zu philosophisch für diesen Moment. Wie gern hätte sie diese Frage mal mit diesem Michel diskutiert, damals auf der Fähre nach Marseille. Sie hatte unendlich viel Zeit, aber sie musste versuchen im Denken beweglich zu bleiben. Konservatismus konnte sie sich kaum leisten, es würde auffallen. Und viele Erfahrungen lagen schwer auf ihrer Seele – leider ging diese viele Zeit nicht mit einer gelegentlichen Reinigung ihres Gewissens einher. Leider war sie auch nicht religiös wie ihre Mutter. Glaube schien etwas für Menschen zu sein die keinen Alkohol vertrugen und das traf auf sie keinesfalls zu. Cathy kam es ausserdem sehr dumm vor ihre ganz besonderen Sünden zu beichten. Sie waren für einen anderen Menschen ganz sicher unverzeihlich.
Auf der anderen Seite stand sie am absoluten Ende der Nahrungskette. Sie war der Spitzenprädator, der andere Menschen vernichtete um selbst zu überleben. Der Mensch selbst dachte wohl von sich dass er am Ende der Nahrungskette stand und wer andere Menschen tötete, der galt als krank oder verabscheuenswürdig. Cathy war anders, vielleicht war sie die Einzige ihrer Art. Wie gern sie das genau gewusst hätte...
Re: Das Zimmermädchen [FSK18]
von Alina am 25.08.2021 01:02Er schneidet die Kartons auf und wirft einen Blick hinein. Dann holt er die Akten aus den Kartons, es waren insgesamt 6 Kartons und in jedem befanden sich etwa fünf bis sechs Aktenordner. Er prüft alle Ordner, sie sahen gut aus und die Dokumente schienen unbeschädigt zu sein. In fünf Kartons hatte er so 28 Aktenordner zutage gefördert, die fast ausschliesslich Zeitungsausschnitte beinhalteten und im letzten Karton findet er eine Materialsammlung, die hoffentlich aussagekräftiger war als die ganzen Zeitungsauschnitte. Aber Hill ist sicher, dass alles wichtig sein wird, früher oder später.
(...)
Es war nun die Auswertung dieser Metadaten, wenn man sie so nennen wollte, die Hills Arbeit bestimmte. Und auch Evans hatte sich darauf spezialisiert. Diese unfassbar vielen Zeitungsschnipsel zeugten von dieser Arbeit. 1500 Tote. Vielleicht sogar 1500 Morde. Nur Diktatoren und solche Männer wie Adolf Eichmann, der die Transporte in die Konzentrationslager der Nazis organisiert hatte, hatten mehr Menschen auf dem Gewissen. Aber diese Cathy Hasselmann – sollte sie wirklich real und die Täterin sein – sprengte jeden anderen Rahmen den die Polizei von Serienmördern kannte. Selbst mit dem grössten kriminellen Potential, selbst mit dem grössten Ehrgeiz konnte niemand diese Zahlen erreichen, allein aus biologischen Gründen. Eine etwa siebzigjährige Frau, die noch genauso munter mordete wie mit zwanzig oder dreissig Jahren? Das war sehr, sehr unwahrscheinlich.
Kapitel 7, Episode 16
von Alina am 23.08.2021 17:00Paris Marriott Champs- Élysées Hotel, chambre de Anuschka
Le mercredi 30 octobre 1968
Quelle des Bildes
Sie hatte zwei Stunden geschlafen. Niemand würde sie im Zimmer der wissenschaftlichen Mitarbeiterin eines hohen Gastes suchen, das vermutet sie jedenfalls. Anuschka liegt laut atmend neben ihr.
ASU
Kapitel 7, Episode 15
von Alina am 23.08.2021 01:26Paris Marriott Champs- Élysées Hotel, chambre de Anuschka
Le mercredi 30 octobre 1968
Soundtrack für diese Episode: Jefferson Airplane - Somebody To Love
Während Anuschka sich vornübergebeugt und nervös mit den Fingern durchs Haar fährt und man durch die geöffneten Knöpfe ihrer Bluse ihre kleinen hübschen Brüste sehen kann, da wechselt Cathy ins Englische wo sie sich noch sicherer fühlt. „Just a dream", sagt sie etwas lauter und lächelt. Anuschka wirkt auf eine liebenswerte Art überfordert und etwas hilflos. Cathy nimmt ihre Hand und hebt sie leicht an, ein Zeichen aufzustehen und sich neben sie auf die Couch zu setzen. Das tut Anuschka und sofort lehnt sie sich sogar an Cathys Schulter an. Sie wirkt gar nicht mehr überlegen – es ist fast so als hätten sich ihre Rollen ins Gegenteil verkehrt. Cathy ist nun diejenige, die die Fäden in der Hand hält. Es geht ihr fast etwas zu schnell, diese schnelle Vertraulichkeit die mehr dem Alkohol als tatsächlicher Sympathie oder gar Vertrauen geschuldet ist. Aber Cathy legt den Arm um die nun sehr klein wirkende Studentin und zieht sie leicht an sich heran. Natürlich hatte sie auch getrunken und war zudem auch noch verwirrt von all den neuen Informationen. Aber Anuschka gegenüber fühlt sie sich nun sogar stark und... gar schutzbefohlen.
Hier in Frankreich erlaubte das sogenannte „Neuwirther Gesetz" seit 1967 die Empfängnisverhütung. Dies hatte nun Frankreichs Lust an Sexualität komplett entfesselt. Als Frau, die eine andere Frau liebt konnte einem das theoretisch egal sein. Aber Cathy spürte die Veränderung und erst die steigende Promiskuität aller und die damit verbundene grössere Akzeptanz anderer Sexpartner erlaubte auch die lesbische Liebe in einem höheren Maße als zuvor. Cathy kannte solche gesellschaftlichen Veränderungen. Sie dachte an den glatzköpfigen Professor, den sie auf dem Schiff kennengelernt hatte. Der hätte ihr sicherlich stundenlang zuhören können, dachte sie und schmunzelte kurz.
Die Affäre in Südfrankreich war kurz und gut gewesen. Zum ersten Male hatte sie sich über Stunden nur auf eine andere Frau konzentriert und vice versa. Keine Penetration – was zugegebenermaßen nicht exakt Cathys Vorstellung von gelungener Sexualität entsprach, aber immerhin auch kein Abschlaffen und übermäßige Fixierung auf einen Orgasmus männlicherseits. Sie hatte es sehr genossen, immer wieder hatten sie sich zum Orgasmus gebracht: mit den Händen, mit dem Mund, sogar mit Gegenständen. Seit diesem Tag sah Cathy beispielsweise Bananen mit ganz anderen Augen.
Cathy spürt eine Hand auf ihrem Po und lächelt wieder. Diese kleine und nun sehr anhängliche Studentin hatte es faustdick hinter den Ohren. Aber gut, der Alkohol... auch Cathy fühlt sich beschwipst; jedoch hatte das jahrzehntelange und auch in körperlicher Hinsicht absolut folgenlose Trinken aus ihr beinahe eine Russin gemacht. Ihr Körper verfiel nicht vom Trinken aber sie gewöhnte sich an den übermäßigen Genuss von Alkohol. Was würden andere Menschen dafür geben?
Apropos Russin – dieser Kuss der Plisetskaya, der war nun trotz allem sehr viel präsenter als die anderen sexuellen Erfahrungen mit Frauen die Cathy gemacht hatte. Warum das so war, das erschloss sich ihr gerade nicht. Dieser unverbindlich scheinende Kuss beinhaltete schon in diesem Moment eine Botschaft für Cathy, nur war sie schon damals nicht in der Lage gewesen den Code zu dechiffrieren. Nun spürte sie es wieder, in Paris, der Stadt der Liebe.
Es war die Sache wert den Dingen ihren Lauf zu lassen...
Cathy legt eine Hand auf Anuschkas Wange und streicht ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Sie sieht dass ihr Blick minütlich trüber wird. Sie ist jung und hat sicherlich keine grösse Übung im Umgang mit solchen Mengen Alkohol.
„So schön... und so klug", flüstert Cathy während sie die Studentin beobachtet und auf ihrer Unterlippe kaut. In ihrem Kopf herrscht Stille – absolute Stille – wie sie erleichtert nebenbei feststellt. Anuschka lächelt fröhlich, fast selig.
„...so beautiful" und sie legt ebenfalls eine Hand auf Cathys Wange.
Cathy lächelt, sie hört den ganz leicht deutschen Akzent den sogar diese sprachlich so versierte Studentin nicht verhehlen kann. Sie reibt ihre Nasenspitze leicht an Anuschkas Nasenspitze. Diese versucht gerade mühsam sich mit den Füssen die Schuhe abzustreifen.
„Kannst du bleiben?", fragt sie Cathy verschmitzt und leise, ihre Lippen berühren sich beinahe. In genau diesem Moment trifft Cathy die Entscheidung dass sie nicht mehr aus der Pause zurückkehren wird. Dafür würde sie höchstwahrscheinlich gefeuert werden aber sie würde dieser Entscheidung sogar zuvorkommen. Sie nickt selbstsicher. „Sure", haucht sie und haucht dabei auch einen Kuss auf die Lippen der Studentin. Anuschka schmiegt sich noch näher an Cathy und erwidert den Kuss ganz sanft, mit ihren eigenen Eindrücken der Situation beschäftigt.
Cathy steht auf, nimmt Anuschkas Hand und fordert sie wieder stumm auf nun ebenfalls aufzustehen. Sie spürt dass sich Anuschka hingibt, ihr die Führung überlässt. Sie legt ihre Hand in Cathys Hand und steht auf, etwas wackelig auf den Beinen.
Cathy führt sie zu ihrem Bett, sie folgt brav, kichert dabei und torkelt leicht. Ihre Schuhe bleiben unter dem Tisch liegen.
Anuschka darf sich zuerst setzen, dann kommt Cathy über sie und drückt sie dabei sanft auf den Rücken.
Kapitel 7, Episode 14
von Alina am 21.08.2021 16:27Paris Marriott Champs- Élysées Hotel, chambre de Anuschka
Le mercredi 30 octobre 1968
Soundtrack für diese Episode: The Rolling Stones - Paint It Black
Quelle des Bildes
Ein junges Zimmermädchen welches Sumerisch spricht. Was für ein Quatsch! Sie konnte es nirgendwo gehört haben, da war Anuschka sicher. Sie steigen aus dem Fahrstuhl und Anuschka zieht Cathy hinter sich her. Sie ist selbst ausser Atem, aber eher vor Aufregung als durch die Eile. Sie dreht hektisch den Schlüssel im Schloss, stösst die Tür auf aber bleibt noch im Rahmen stehen. „Cathy... bitte erzähl' mir woher du diese Wörter kennst!"
Cathys Hand ist schwitzig, sie taumelt leicht gegen Anuschka als diese so plötzlich stoppt. Bisher kam sie nicht auf die Idee, dass sie vielleicht selbst zu einer Art Forschungsobjekt geworden sein könnte, allein durch die Tatsache dass sie Sumerisch spricht. Sie war doch nur ein Zimmermädchen – sie hatte es sich nicht ausgesucht, diese Worte zu kennen.
Anuschka gibt ihr etwas Zeit und wirft ihre Tasche auf das kleine Sofa, so als wäre der Inhalt nun nichts mehr wert nachdem sie mit Cathy gesprochen hat. Die Worte von Cathy tauchten in einem neuen Zusammenhang auf, das war das Spannende. Es war als habe Anuschka eine neue Tafel entdeckt. Zwar mit alten Worten – aber in einem neuen Kontext. Dieser neue Kontext war viel wertvoller als ein neues Wort.
Sie klappt die Minibar auf und holt eine kleine Flasche Whiskey heraus. Sie öffnet sie und hält sie Cathy hin, dabei lächelt sie ein wenig verschmitzt. Cathy dreht sich auf dem Absatz herum, schaut auf eine Uhr an der Wand und sieht nicht abgeneigt aus. Sie nickt, nimmt die Flasche und nippt daran. Wie von Anuschka erwartet, hat der starke Whiskey schnell eine sehr entspannende Wirkung.
Anuschka macht die obersten beiden Knöpfe ihrer Bluse auf und setzt sich auf den Couchtisch, Cathy dabei zugewandt. Die Bluse ist unbequem und ihr ist im gleichen Moment kalt und doch wieder warm. Ihr gegenüber steht ein bequemer Stuhl.
„Entschuldige dass ich dich so entführe. Es ist nur... dass ich ein junges, hübsches Zimmermädchen treffe die sumerische Wörter perfekt betont, das kommt etwas unerwartet."
„Schon gut", erwidert Cathy. „Ich bin sehr dankbar, dass wir... reden können." Sie seufzt und denkt nach. „Ich... habe keine Ahnung, warum. Es ist schon sehr lange her. Ich war noch ein Kind. Ich glaube ich war noch ein Kind. Ich habe es geträumt."
„Geträumt?" wiederholt Anuschka ungläubig. „Dein Vater war aber kein Archäologe oder Etymologe?" Cathy schüttelt den Kopf und ist sicher dass er keines von beiden war. Sie sieht Anuschka nicht an, starrt auf die kleine Flasche Whiskey und gibt sie schnell zurück als sie sich dessen bewusst wird.
„Es leben seit fast viertausend Jahren keine Menschen mehr die Sumerisch sprechen. Also musst du es von einem Forscher haben." Anuschka nimmt die kleine Flasche und trinkt selbst. Nach diesen Worten wird Cathy erst das Ausmaß ihrer Situation bewusst. Sie nickt schnell. „Ja, ganz sicher. Woher auch sonst?" Sie lächelt künstlich.
„Aber trotzdem... diese drei Wörter? Und du hast sie dir so lange gemerkt? Normalerweise vergisst ein Mensch Dinge, die er nicht anwendet oder regelmäßig wieder hört." Anuschka beugt sich vor und sieht Cathy ernst an.
Cathy überlegt erst, dann nickt sie. Sie wägt das Risiko ab – aber es war besser das Gespräch fortzuführen. Sicher konnte sie noch einiges erfahren, aber sie wollte es tun ohne diese Studentin weiter in Panik zu versetzen. Doch diese scheint in ihr lesen zu können, wie in einem offenen Buch. Das erschwerte die Sache ungemein.
„Ich habe sie gemerkt... mir gemerkt, weil... sie so... böse klingen." Cathy macht eine Pause.
„Hast du... diesen Traum immer noch?" Anuschka wusste nicht wie sie es sich anders erklären sollte, ausser es handelte sich um ein psychopathologisches Phänomen. Cathy nickt zögerlich.
„Dieses Wort... 'BELU', es ist allein. Es kommt allein", flüstert sie dann.
„Es kommt allein? Und die anderen beiden Wörter?" Anuschka war nun sicher, auf dem richtigen Pfad zu sein. Cathy sieht aus als hätte sie auf diese Frage gehofft. Endlich konnte sie ihre Eindrücke mit jemandem teilen.
„Sie kommen nicht allein. Erst RABU, dann KATARU. Sie kommen immer zusammen. Erst RABU. Dann KATARU."
„Ein gutes Bündnis. Nein, ein... Bündnis, dass sich bewährt." Anuschka überlegt.
Auch Cathy denkt nach; nur in dieser Reihenfolge ergab alles einen Sinn. Es gehörte in diese Reihenfolge. Erst eine Aufforderung, dann ein Lob, dann ein Versprechen dass es wieder passieren würde. Sie war entsetzt wie nah die tatsächliche Übersetzung an ihrer bösen Vorahnung lag.
„Jemand hat etwas Gutes erreicht, vielleicht einen Auftrag ausgeführt... und ein Bündnis erreicht oder Bündnispflichten eingelöst". Anuschka denkt laut nach aber in ihren Worten schwingt auch ein Fragezeichen mit. Cathy starrt ins Leere und kommt erst wieder zu sich als sie Anuschkas Stimme hört. „Vielleicht geht es um Frieden!" Sie lächelt und klingt begeistert von ihrer Idee.
Cathy kann ihr nicht folgen, aber sie lächelt weil Anuschka ebenfalls lächelt. „Ja, Frieden!"
„Jemand hat etwas Gutes erreicht und nun entsteht ein Bündnis daraus. Und das mit dem 'Auslöschen' erledigt sich ja dadurch." Es klang so logisch. Cathy nickt. „Das klingt gut! Erst gibt es Krieg, dann ein gutes Bündnis. Dann Frieden!" Cathy ist erleichtert.
„Vielleicht ist es wirklich so einfach. Das wäre schön." Anuschka trinkt noch einen Schluck Whiskey und reicht Cathy wieder das Fläschchen zurück. Diese seufzt und sieht ihr Gegenüber an. „Du bist so klug. Du wirst sicher ein guter Professor. Sehr gut."
„Schlimm wäre es wenn die Reihenfolge anders herum wäre", sagt Anuschka plötzlich und lächelt sogar. „Gut gemacht, Bündnis, Krieg."
Cathy trinkt ebenfalls schnell einen Schluck, schluckt hart. Der Whiskey brennt im Mund und löscht die aufkommenden Tränen sofort.
„Also quasi... ein Bündnis für den Krieg. Ein Bündnis für die Auslöschung von... anderen." Anuschkas Worte werden leiser als sie merkt, dass diese Deutung mindestens genauso sinnvoll ist. Für einen Augenblick hatte es Cathy geschafft sich einer Illusion hinzugeben. Doch nun war es bereits wieder vorbei.
„Cathy, du...", Anuschkas Kehle ist trocken, trotz des Whiskeys. Cathy sieht sie besorgt an. „Kannst du das letzte Wort noch einmal aussprechen? Also das Wort, welches der Professor auch gesagt hat."
Cathy sieht Anuschka an. In ihr steckt die Angst sich damit endgültig zu verraten. Aber sie fasst sich ein Herz und tut es.
„KA-TARUU." Anuschka lauscht. Cathy sieht, wie genau Anuschka zuhört und wiederholt es ein weiteres Mal, auf die gleiche beschwörende Art und Weise wie schon vorher. Es klingt so als hätte Cathy es vor 4000 Jahren gehört. Das konnte sie unmöglich gelesen oder gehört haben. Sie sprach es so aus dass man merkte, dass sie andere, neue Laute gelernt hatte. Sogar das erste 'A' klang nicht amerikanisch, deutsch oder französisch. Sie spuckte es förmlich aus. Dann das 'R', welches sie ganz anders rollte als in den ihr bekannten Sprachen. Es klang beschwörend, wie ein Teil eines alten und bösen Rituals. So redete nicht mal ein Wissenschaftler.
„Es klingt... es klingt wie die Gegenwartsform... oder nein, die Verlaufsform. Es... ist ein Bündnis. Also, das Bündnis ist schon da." Sie dachte wieder laut. „Es wird nicht erst geschmiedet. Es wird... erneuert?" Sie flüstert nun und schaut Cathy mit erwartungsvollen Augen an.
Es war, als würden die Worte Anuschka befähigen auf den Grund von Cathys Seele zu schauen. Es war unheimlich. Was es dort zu sehen gab war das pure Böse und Cathy hatte Angst davor dass man es sehen konnte. Andererseits war es zu faszinierend um nicht darüber zu reden. Seit einem halben Jahrhundert suchte sie nach Antworten. Sie musste einfach mehr wissen.
Anuschka spürt wie sie anfängt zu zittern und Cathy nickt nur langsam. Anuschka hatte sich bereits vorher die Flasche erneut geangelt und leert sie jetzt auf den letzten Zug. Dann stellt sie die Flasche knallend auf den Tisch und es bewirkt dass beide wie aus einer Art Trance erwachen.
„Ich verstehe das nicht. Cathy, du bist ein seltsames Mädchen..." Der Alkohol steigt Anuschka heftig zu Kopf. Cathy hatte das Gefühl, alles zu verstehen und Anuschka tat das auch. Sie wusste es nur nicht so genau und hatte wohl Angst vor einer Wahrheit, für deren Akzeptanz Cathy selbst einige Jahrzehnte gebraucht hatte.
„Jetzt habe ich beinahe Angst allein zu schlafen." sagt Anuschka mit leicht bebender Stimme.
Cathy lächelt sie an und ihre Selbstsicherheit kommt zurück die viel grösser war wenn sie nicht arbeitete.
Die Studentin spürt wieder die Angst die in ihr aufsteigt, wenn sie an die Konsequenzen ihrer Entdeckung denkt. Sie bedauert dass der Whiskey bereits leer war.
Cathy sagt leise „Nur ein Traum... nur ein Traum."
Kapitel 7, Episode 13
von Alina am 20.08.2021 22:54Paris Marriott Champs- Élysées Hotel, Salle de réunion
Le mercredi 30 octobre 1968
Hugo Montenegro and His Orchestra - "The Good, The Bad and The Ugly"
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„Also, was ist so wichtig an KATARU? Es heisst 'Bündnis' oder 'ein Bündnis eingehen'."
Cathy sieht Anuschka plötzlich wieder genauso verblüfft an wie vorhin. Es sieht fast aus als würde Sorge in ihren Augen flackern. Anuschkas Augen verengen sich mehr neugierig als skeptisch.
„Es heisst... 'Bündnis' oder 'ein Bündnis eingehen'", wiederholt Cathy ihre Worte. Anuschka nickt. „Woher kennst du es?"
„Was... bedeutet es genau?" fragt Cathy und ignoriert die Frage zuvor. „Ist es wie... ein Vertrag machen?"
„Genau. Das kommt auf den Kontext an. Auf..." Anuschka lächelt „...die Wörter davor und danach. Für sich allein kann man das nicht ganz genau sagen."
Cathy atmet schwer aus, starrt vor sich auf den Boden und sieht sehr nachdenklich aus.
„Vertrag..." Anuschka überlegt. „Es kann sein dass es so benutzt wird, aber sicher nicht wie bei einem normalen Vertrag zwischen zwei Handelspartnern. Man würde es vielleicht eher benutzen wenn jemand einen Vertrag mit seiner Sippe oder einer Gottheit eingeht."
Cathy starrt sie wieder an. „Ein Bündnis eingehen...", flüstert sie. „Was bedeutet 'Sippe'? Ist es Familie? Was bedeutet 'Gottheit'? Ist 'Gottheit' Gott?" Cathys Fragen prasseln jetzt nur so auf Anuschka ein.
„Ja. Die Sumerer hatten mehrere Götter, nicht nur einen. Und die Sippe, damit ist die Gemeinschaft in einem Dort gemeint. Oder eine grosse Familie."
„Woher kennst du denn solche Wörter?" Anuschka sieht in dem Maße verwundert aus, wie Cathy erschüttert ist.
„Vertrag mit Gott, mit Göttern. Oder mit Familie." Sie wiederholt das, was sie als wichtig empfindet. Dann erst klärt sich ihr Blick etwas und sie sagt: „Ach, ich... ich weiss nicht. Ich habe sie einfach mal gehört." Obwohl Anuschka sicher war dass Cathy gut lügen konnte, so war das jedoch ein besonders dilettantischer Versuch. Sie blickt tief in Cathys grüne Augen.
Cathy hingegen versucht abzulenken „Was ist RABU?"
"Etwas gut machen", wiederholt Anuschka geduldig. Sie war sicher dass Cathy es noch wusste, aber der offensichtliche Ernst der Lage verlangte es ganz sicher zu gehen.
„Etwas gut machen. Ich habe etwas gut gemacht. Ja?" wiederholt Cathy langsam und sieht Anuschka fragend an.
„RABU." wiederholt sie beschwörend, für den Fall dass Anuschka das Wort vielleicht bereits wieder vergessen hatte.
„Ja. Wie ein Krieger, der sich im Kampf bewährt hat. Er ist 'RABU'."
Cathy schluckt und hat plötzlich Tränen in den Augen. „Gut... gut." stösst sie gepresst hervor.
Ohne zu zögern nimmt Anuschka Cathys Hand „Warum weinst du?"
Wieder starrt Cathy auf den Boden vor sich und atmet pustend aus. „Oh, schon gut, schon gut." Sie lächelt Anuschka gequält an „Ich... ich suche nur schon lange danach."
Anuschka war nicht geschult in diesen Dingen, aber entweder war dieses Mädchen mit dem roten Schopf psychisch labil oder die Worte bedeuteten für sie mehr als sie sollten
Cathy gewinnt ihre Fassung wieder und fragt dann: „Du weisst noch mehr Worte, ja? Ich habe noch eins. Nur noch eins."
„Ein paar tausend sind bekannt", kommentiert Anuschka nüchtern und wartet gespannt.
Cathys Miene hellt sich wieder etwas auf und sie sagt: „Es heisst BELU. BEE-LU." Sie spricht es ganz langsam und deutlich aus beim zweiten Mal.
Anuschka merkt dass ihr kalt wird. Woher zum Teufel kannte sie solche Wörter? Cathy sieht sie an, als wäre dieses Wort von grösster Bedeutung für sie, noch wichtiger als die beiden Wörter zuvor.
Anuschkas Hände zittern leicht, sie greift Cathys Hand fester. Cathy ist klar dass dies bisher wohl das brisanteste Wort ist. Auch in ihrem Kopf war es das... aufdringlichste Wort von allen.
„Cathy, du machst mir ein bisschen Angst. BELU..." Anuschka schüttelt leicht den Kopf und flüstert das letzte Wort so, als wäre es ein Tabu es auszusprechen. Cathy selbst verspürt keinen Drang, das Wort nochmal auszusprechen. Die unheimliche Aura ihrer letzten Worte hing noch spürbar in der Luft. Also nickt sie nur langsam und bestätigend.
„Das heisst 'auslöschen'. 'Vernichten'." Die dunkle Vermutung wird mit dieser Antwort zur Gewissheit.
„Ja", flüstert Cathy auf eine fatalistische Art und Weise. Trotz ihrer Vermutung ist sie entsetzt. Es fühlt sich so an, als hätte sie eine Diagnose bekommen dass sie nur noch drei Tage zu leben hatte. Aber wieso wunderte sie sich nicht über die Antwort der Studentin?
Anuschka greift ihre Hand fest, mit der anderen schliesst sie ihre Tasche und lässt sich dann vom Pult rutschen.
„Komm mit!", sagt sie eilig. Cathy ist abwesend, rutscht aber auch vom Pult herunter. Anuschka zieht schnell ihre Schuhe an, greift wieder nach Cathys Hand. Ihr Griff ist kräftig, fest entschlossen. Sie stürmt mit Cathy eilig zum Fahrstuhl, zieht sie fast hinter sich her. Diese fällt fast über ihre Füsse, folgt ihr aber so schnell sie kann. Sie fragt nicht nach, wohin es geht – das spielt keine Rolle. Das erste Mal seit einem gefühlten Jahrhundert passiert etwas und zwar etwas das von Belang ist. Gerade jetzt ändert sich eine lang eingeschlagene Richtung. Es fühlt sich für Cathy gleichermaßen aufregend, als auch erdrückend an.
Kapitel 7, Episode 12
von Alina am 19.08.2021 20:32Paris Marriott Champs- Élysées Hotel, Salle de réunion
Le mercredi 30 octobre 1968
Soundtrack für diese Episode: Van Morrison - Brown Eyed Girl
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Anuschka sitzt auf dem Rednerpult, ihre Beine baumeln barfuß herunter. Sie sitzt leicht nach vorn gebeugt und konzentriert sich auf ein Buch. Hinter ihr wird sauber gemacht. Ihre Haare hatte sie hinter die Ohren geschoben damit sie nicht nach vorn fallen konnten. Sie hatte wieder ihre Brille aufgezogen und ihre schlanken Beine sahen für eine Akademikerin ziemlich muskulös aus. Offenbar lief sie viel herum.
Cathy betritt den Saal und schaut sich um. Sie hatte zwar keinen Feierabend aber immerhin drei Stunden Pause. Das durfte mehr als ausreichend sein. Sie sucht nach Anuschka und erblickt sie auf dem Pult. Mittlerweile sind alle Zuhörer gegangen. Sie kommt näher und beobachtet die Studentin schon währenddessen.
„Da bin isch", sagt sie mit leicht französischem Akzent und lächelt etwas frech. Sie hatte sich etwas entspannt.
Anuschka hebt den Zeigefinger: „Moment noch...", liest den Satz zu Ende, dann klappt sie das Buch zu und lächelt Cathy an. Sie schaut auf sie herab und nimmt die Brille ab. So barfuß sitzend sah sie sogar noch jünger aus, fast in Cathys Alter.
Cathy steht geduldig da und ist absolut still. Sie kann diese Studentin nur schwer einschätzen, aber sie mag es wie sie sie anlächelt. Sie sieht auf eine ganz besondere Weise abgeklärt aus, trotz ihres jungen Alters. Sie war sich sicher ihrer Weisheit schon in so jungen Jahren bewusst, jedenfalls scheint es Cathy so.
„Setz dich doch", Anuschka klopft neben sich auf das Pult. Cathy nickt und lehnt sich an, neben Anuschka. Sie fühlt sich sicherer als noch vorhin. Sie trägt zwar noch immer ihre Servicekleidung, aber sie fühlt sich jetzt etwas privater, nicht mehr nur wie eine profane Angestellte. Sie ist auf Geheiss eines Gastes hier.
Anuschka lässt ihre aufmerksamen Augen durch den Saal schweifen, dann lehnt sie sich ein wenig zu Cathy, berührt ihre Schulter mit ihrer eigenen. Cathy atmet hörbar ein, als wüsste sie dass eine schwere Aufgabe vor ihnen liegt.
„Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen", sagt Cathy in einem Deutsch, als hätte sie sich in den vergangenen Stunden geistig auf das ausschliessliche Sprechen in deutscher Sprache eingestellt
„Schau, sie reden immer noch." Die Studentin zeigt in Richtung der Tische an der Seite, und tatsächlich: dort standen noch immer drei der vier Männer von vorhin und diskutierten. Cathy sieht herüber und nickt stumm.
„Über was reden sie?" Cathy fragt es eher um ein Gespräch in Gang zu bringen. Anuschkas Augen schienen vor Ehrgeiz zu sprühen. „Sie reden bestimmt über die Ausgrabungen in Palmyra. Irgendwann... ja, irgendwann bin ich auch ein Profess... eine Professorin. Aber bis dahin...", sie zeigt auf ihre offene Aktentasche „...bis dahin lese ich Bücher."
Cathy lächelt auf eine sehr herzliche Art und man kann ihre Grübchen sehen. Sie scheint von dem Ehrgeiz der jungen Wissenschaftlerin angetan zu sein.
„Das schadet nie." sagt sie so, als wäre sie zwar von diesem Spruch überzeugt, aber hätte ihn nur auswendig gelernt. „Was sind das für Bücher? Was studieren Sie?" fragt sie dann, schon mit etwas gesteigertem Interesse.
„Sag doch 'Du' zu mir, sonst komme ich mir so alt vor." Ihr Lächeln wirkt ungeübt, dabei können sich ihre schönen und weißen Zähne durchaus sehen lassen. „Ich bin Anuschka. Ich studiere Archäologie in Wien, bei Professor Dr. Gantzburg." Sie betont den Namen, wie man einen wichtigen Namen eben ausspricht.
„Anuschka." wiederholt Cathy und nickt bei ihren Worten. „Das ist sicher sehr interessant. Ich heisse Catherine, aber alle nennen mich Cathy."
„Cathy... du kommst aus Amerika?" rät Anuschka. Cathy nickt wieder eifrig „Ja, Amerika." Sie klingt schwermütig.
„Eine weite Reise. Und du wiederholst gerne Wörter." Anuschka schmunzelt und beginnt unbewusst mit einer herunterhängenden Strähne zu spielen.
„Ah, ja." Cathy zuckt mit den Schultern. „Es klingt so schön wenn Sie es... wenn du es auf Deutsch sagst. Aber Paris ist auch so hübsch. Ich liebe Paris. Die Stadt der Liebe." Cathy lächelt mit gespielter Verträumtheit und sie klingt wieder so als hätte sie es bloss auswendig gelernt. Anuschka schaut ihr in die grünen Augen aber sie nimmt auch mehr und mehr von Cathys Hals, ihren charakteristischen Grübchen und ihren schönen, roten Haaren wahr.